Interview mit Dr. Lilly Damm: Zerfallender Schaumstoff in Philips-Beatmungsgeräten

Seitliches Profilbild von Dr. Lilly Damm

Dr. Lilly Damm ist Ärztin für Allgemeinmedizin und beschäftigt sich seit Mitte 2021 mit der Problematik des zerfallenden Schaumstoffs in Philips-Beatmungsgeräten. Wir haben mit Ihr ein Interview zur ärztlichen Fragestellung rund um die Beatmungsgeräte von Philips geführt.

Wie sind sie dazugekommen, sich mit den gesundheitlichen Folgen des schadhaften Schaumstoffs in den Philips Beatmungsgeräten zu beschäftigen?

Es gibt einen Fall in meiner engsten Familie und ich bin in Kontakt mit vielen Betroffenen.

Haben sie Erfahrungen, wie die zuständigen öffentlichen Stellen damit umgegangen sind bzw. damit umgehen?

Es herrscht für mich ein beschämendes Desinteresse aller zuständigen öffentlichen Stellen. Diese müssten sich dringend auf der Seite der Patienten für eine möglichst rasche Lösung einsetzen. Das ist leider nicht der Fall. Mein Anschreiben als informierte und besorgte Ärztin an 6 zuständige Stellen im Gesundheitsministerium inkl. BM Rauch persönlich, war niemandem auch nur eine Antwort wert.

Können Sie allgemeine Empfehlungen aus medizinischer Sicht für Betroffene aussprechen? Auf welche Symptome sollten Patienten besonders achten?

Aufgrund meiner Erfahrungen in diesen nun fast drei Jahren kann ich sehr empfehlen, Symptome z.B. Husten oder andere Symptome möglichst genau zu beachten und zu dokumentieren. Wann sind sie aufgetreten, wie lange haben sie gedauert, welche Besonderheiten konnten sie beobachten z.B. Blutbeimengungen, oder auch schwarze russähnliche Teilchen im Auswurf, oder ein Husten, der auf übliche Behandlungsmethoden nicht reagiert, und der für den Hausarzt/die Hausärztin unerklärlich ist,  oder in Wellen von einigen Wochen verläuft. Ein Husten, der keine erkennbare Ursache hat und bei dem offensichtlich keine Infektion als Ursache in Betracht kommt, ist ein Hinweis auf mögliche Schaumstoffbelastung. Es können auch andere Symptome sein wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit oder ein unerklärliches Energiedefizit. Auch diese sollten möglichst genau beschrieben und mit Datum dokumentiert werden. Auch ärztliche Ratschläge, Untersuchungen und Behandlungen mit Medikamenten sollten aufgeschrieben werden.

Gibt es aus ihrer Sicht auch eine Empfehlung für bestimmte Untersuchungen?

Obwohl der Husten ein sehr häufiges Symptom ist, wird er von Hausärzten in Ermangelung der Kenntnis der Schaumstoffproblematik häufig nicht in Zusammenhang mit der nächtlichen Beatmungstherapie gebracht, die ja meist durch ein Schlaflabor bzw. vom Lungenfacharzt verordnet wird. Diese wären auch informiert. Wegen Husten gehen die Patienten aber zum Hausarzt/Hausärztin, der die dringende Warnung gar nicht erhalten hat, ebenso wie Lungenfachärzte, die nichts mit Beatmungstherapie zu tun haben. Patienten werden mit der üblichen Therapie versorgt und bei Nicht-Besserung zu Routine-Untersuchungen wie Lungenröntgen oder zum Lungenfacharzt geschickt, der üblicherweise eine Lungenfunktion durchführt. Diese Routine-Untersuchungen sind jedoch nicht in der Lage, das Problem einer Schaumstoffbelastung in der Lunge sichtbar zu machen.

Wie kann eine Schaumstoffbelastung in der Lunge nachgewiesen werden?

Es gibt keine einfache beweisende Untersuchung, es sei denn, ein Patient hat tatsächlich aktuell eine größere Schaumstoff-Partikelbelastung und wird genau zu diesem Zeitpunkt akut bronchoskopiert. (Spiegelung der Bronchien) Das ist in Österreich bislang noch nicht vorgekommen und wird in der Literatur auch nur einmal beschrieben.

Die Anfertigung einer Computertomografie der Lunge, auch ohne Kontrastmittel und mit einer schwachen Röntgenstrahlung, ist aus meiner Sicht und Erfahrung eine sehr sinnvolle Maßnahme. Sie kann vom Hausarzt/der Hausärztin verordnet werden und ist mit einer sehr niedrigen Belastung für den Patienten verbunden.

Hier kann man zumindest mögliche Rundherde oder auch entzündliche Veränderungen sehen, die man im normalen Lungenröntgen nicht erkennen kann. Diese Rundherde sind Ausdruck einer aktivierten Immunreaktion in der Lunge. Eine Immunreaktion ist auch erklärlich, da es eine der Aufgaben des Bronchialsystems ist, mögliche Fremdkörper abzuhusten, aufzulösen und abzutransportieren.

Ohne eine solche CT-Untersuchung wird der Patient auch lungenfachärztlich praktisch immer als „gesund“ befundet.

Kann man Schadstoffbelastungen in anderen Organen nachweisen?

Leider nein. Wir wissen bis heute nicht die konkrete Zusammensetzung des schadhaften Schaumstoffs – das Sicherheitsdatenblatt würde das bekanntgeben, es wird aber weder von Philips noch von dem BASG (Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen) herausgegeben. Wären die Substanzen bekannt, wüsste man auch die Organe/Organsysteme, in denen sie Schaden anrichten können. Dies kann die Leber sein, das Gehirn, das blutbildende System, die Nieren oder auch andere Organe.

Bedauerlicherweise wissen wir auch nicht die Menge der möglichen Schadstoffe, die freigesetzt wurden. Auch dieses Wissen ist sehr wichtig für die Einschätzung einer möglichen Gesundheitsschädigung.

Wurde das nicht untersucht?

Philips selbst hat einige toxische Substanzen genannt, aber behauptet, dass sie nur unter der gesundheitsschädlichen Grenze nachgewiesen werden können. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat daraufhin weitere Tests in unabhängigen Labors verlangt.

Philips hat die Original-Daten jedoch bislang nicht freigegeben, obwohl die FDA, die Namens-Nennung der untersuchenden Labors, den freien Zugang zu den Daten, und den Nachweis der mengenmäßigen Belastung eingefordert hat. Leider vergeblich.

Dies hat ua. nun auch zu dem gerichtlichen Vergleich zwischen der Behörde FDA und Philips geführt, der einen Produktions- und Verkaufsstopp der Geräte in den USA zur Folge hat. Zustimmungsbeschluss vom 9.April 2024.

Was machen die österreichischen Behörden?

Leider ist hier im Gegensatz zu anderen Ländern eine unglaubliche Apathie erkennbar, es wird nur darauf hingewiesen, dass die zuständige öst. Behörde das BASG, die dem Gesundheitsministerium nachgeordnet ist, die sog. „freiwillige Korrekturmaßnahme“ von Philips lediglich beobachtet.  Darüber hinaus finden keine Maßnahmen statt, auch keine Informationen oder gar Beratungen der Patienten, die bereits eine schriftliche Meldung eines schwerwiegenden Vorkommnisses vorgenommen haben. Trotz anders lautender Zusagen von Philips (z.B. in einer Parlamentarischen Anfrage) sind noch immer nicht alle Geräte getauscht oder saniert. Auch hier könnte man mit mehr Nachdruck vorgehen wie das in anderen Ländern schon längst der Fall ist.

Was sollen Betroffene nun machen?

Symptome genau dokumentieren und im CT genau untersuchen lassen und nach Rücksprache mit ihrem behandelnden Lungenfacharzt/Lungenfachärztin einen Wechsel zu einem anderen Beatmungs-Gerät in Erwägung ziehen.