Ischgl 2020 – nächste Fehlentscheidung bahnt sich an
OLG Wien sieht Kausalität des Tiroler Behördenversagens für die tausenden Infektionen von Ischgl-Urlaubern viel zu eng
In Sachen Ischgl hat das Oberlandesgericht Wien (OLG) wie berichtet der Berufung eines vom Verbraucherschutzverein (VSV) unterstützten Klägers (eines deutschen Urlaubers, der infolge seiner in Ischgl erlittenen Corona-Infektion schwer erkrankt war) stattgegeben, das klagsabweisende Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien (LGZ Wien) aufgehoben und das Verfahren zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. „Zurück zum Start“ also. Inzwischen sind rund 25 weitere Berufungsentscheidungen ergangen, alle gleichlautend.
Für das OLG steht unverrückbar fest: Die Presseaussendung des Landes Tirol vom 5.3.2020, in der die These verbreitet wurde, isländische Gäste, die nach ihrem Urlaub positiv auf Corona getestet wurden, hätten sich erst auf dem Rückflug angesteckt, war eindeutig falsch. Mehr noch: die Meldung erfolgte wider besseres Wissen, denn den Beamten der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Landes Tirol war bereits bekannt, dass erste Infektionen schon in Ischgl stattgefunden hatten. Das OLG beurteilt das Verhalten der Tiroler Beamten daher als rechtswidrig und schuldhaft, ja sogar als „unvertretbar.“ Dafür hafte, so das Berufungsgericht, der Bund.
In einem wichtigen Punkt liegt das OLG allerdings grundfalsch. Es meint, das schuldhafte Verhalten der Beamten wäre für die Infektion der Kläger nur dann ursächlich, wenn diese nachweisen könnten, dass sie die betreffende Presseaussendung gekannt und darauf vertraut hätten. Dementsprechend wurde jüngst in einem der über hundert anhängigen Verfahren die bereits in erster Instanz geschlossene Verhandlung vom LGZ Wien wiedereröffnet, nur um einen einzigen Punkt zu prüfen – nämlich, ob der Kläger von der irreführenden Presseaussendung Kenntnis hatte.
„Diese Fragestellung ist komplett verfehlt,“ sagt Peter Kolba, Obmann des VSV. „Eine Presseaussendung, die erklärtermaßen das Ziel hatte, Ischgl aus dem Schussfeld zu bringen und die dieses Ziel aufgrund der irreführenden Darstellung auch erreichte, kann kaum einer der Gäste gekannt haben. Das OLG sieht das Kausalitätserfordernis viel zu eng.“
Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung stellt sich vielmehr so dar: Die Presseaussendung bewirkte, dass Medien, die der Tatsache, dass das Coronavirus in Ischgl angekommen war, bereits auf der Spur waren, diese Meldung zunächst wieder fallen ließen. Das wiederum bewirkte, dass beim nächsten Urlauberschichtwechsel (Samstag, 7. März 2020) tausende Ischgl-Urlauber, viele davon bereits infiziert, unkontrolliert abreisen und das Virus in ihren Heimatländern verbreiten konnten, und gleichzeitig tausende Neuankömmlinge sich ungewarnt und daher nichtsahnend der Infektionsgefahr aussetzten – einer Gefahr, die vielen zum Verhängnis wurde.
„Etwa ein Drittel der Gäste teilte uns mit, dass sie vor der Anreise beim Hotel oder dem Tourismusverband nachgefragt hätten, ob in Ischgl weiterhin alles sicher sei. Diese Fragen wurden – durch Personen vor Ort, die die Presseaussendung des Landes Tirol sehr wohl kannten – durchgängig bejaht. Auch dadurch hat die bewusst falsche Aussendung dazu beigetragen, dass Gäste im Vertrauen auf diese Auskunft gutgläubig anreisten, sich dann jedoch infizierten und das Virus in der Folge in die ganze Welt weiterverbreiteten,“ stellt Kolba klar.
„Der Verbraucherschutzverein wird daher gegen die fehlerhafte Rechtsansicht des OLG Rekurs an den Obersten Gerichtshof (OGH) erheben. Wenn nun aber das Erstgericht die endgültige Entscheidung des OGH nicht abwartet, sondern auf Basis der falschen Rechtsansicht des OLG nur auf eine allfällige Kenntnis von der falschen Presseaussendung abstellt, dann ist diese Vorgangweise nicht nur neuerlich falsch, sondern auch nicht prozessökonomisch. Denn es ist gut möglich, dass der OGH die Berufungsentscheidung noch korrigiert.“
Service: Am 9. September 2022, 13.00 – 17.00 findet in der Rechtssache „Ischgl“ die erste mündliche und öffentliche Verhandlung gegen die Republik Österreich und einen Hotelier aus Ischgl mit Zeugenaussagen vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien im Justizpalast in Wien statt.