Ischgl – das Tagebuch

Herausgeber: Verbraucherschutzverein
Zusammenfassung: Lydia Ninz

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort


3. März 2020

Erste Warnungen aus Island


4. März 2020
Acht Covid-kranke Isländer


5. März 2020
Tirol ignoriert Covid-Kranke
Gefälschte Presseaussendungen
Tourismusverband verschweigt Kitzloch


6. März 2020
Tirol ignoriert das COVID-Cluster Kitzloch
Lokale Gesundheitsbehörde versagt beim Contact-Tracing
Presseaussendung legt falsche Spur


7. März 2020
„Norwegischer“ Kitzloch-Kellner
Trotz Empfehlung der Sanitätsdirektion wird Kitzloch nicht geschlossen


8. März 2020
Wiedereröffnung Kitzloch trotz COVID-Cluster
Falsche, beruhigende Presseaussendung
Verspätete Testergebnisse
Verschwundene Proben


9. März 2020
Tirol sperrt eine Bar, Südtirol die ganze Saison
„Hottentotten“ SMS an „Kitzloch-Betreiber“
Dänemark, Norwegen und Schweden warnen vor Tirolreisen 


10. März 2020
Seilbahner und LH Platter gegen Saison-„Aus“ – Trotz 74 COVID-Kranker:
„Aus“ für Après-Ski-Bars erst ab nächstem Abend


11. März 2020
Verordnungen halbherzig eingehalten
Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion schlägt intern Alarm


12. März 2020
Vorzeitige Saisonschluss in Ischgl verzögert


13. März 2020
Kanzler Kurz löst Abreise-Chaos aus
Machtlose Polizei
Verschobene Quarantäne-Verordnung
Schlupfloch St. Christoph


Glossar

Vorwort

11.000(!) COVID-Kranke weltweit sind – so Medienberichte – im März 2020 auf Ischgl zurückzuführen. 6.000 Menschen aus 45 Staaten, die nach oder während ihres Urlaubs in Tirol an COVID erkrankten, meldeten sich beim Verbraucherschutzverein. 3000 waren in der letzten Skiwoche in Ischgl.

Ihre erschütternden Berichte lassen ein klares Behördenversagen auf allen Ebenen erkennen. Auch die vom Land Tirol eingesetzte „Unabhängige Expertenkommission“ deckte eklatante Fehler des Krisenmanagements auf. Um den Opfern ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu verschaffen und solche Missstände künftig zu vermeiden, unterstützt der Verbraucherschutzverein (VSV) Amtshaftungsklagen gegen die Republik Österreich. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck führte in Folge einer Anzeige des VSV Ermittlungen durch und lieferte aufgrund vieler Mails und Chat-Protokolle aus-reichendes Belastungsmaterial für zivilrechtliche Schadensersatz-klagen. Alle Versuche des VSV, mit der Republik über einen außer-gerichtlichen Vergleich für die Ischgl-Opfer zu verhandeln, wurden abgelehnt. Konsequenterweise reichte der VSV 50 Klagen bis Dezember 2021 ein, weitere folgen.

Bei der ersten Gerichtsverhandlung am 17. September 2021 in Wien ließ die Richterin keine weiteren Beweisaufnahmen zu. Der Grund: Die vom VSV gelieferten „vorbereitende Schriftsätze [sind] eine sehr schöne Chronologie, gut ausgearbeitet [und] mit Urkunden belegt.“ Daher sei für die Richterin völlig klar, wie alles abgelaufen ist.

Was die Richterin las, sollen auch Sie lesen. Daher stellte Lydia Ninz für den VSV dieses Tagebuch zusammen. Es hält faktenbasierend die entscheidenden Abläufe zwischen 3. bis 13. März 2020 fest: von den ersten Warnungen aus Island bis zur chaotischen Flucht Tausender aus dem Tal. Dazu gestellt sind (in dunkelrot gefärbt) offene Fragen und Kommentare. Selbstverständlich gilt für alle genannten Funktionsträger die Unschuldsvermutung.


Dr. Peter Kolba
Gründer und Obmann des Verbraucherschutzverein (VSV)

3. März 2020

Erste Warnungen aus Island

Die Welt-Gesundheitsorganisation WHO stuft zu diesem Zeitpunkt COVID als ein „sehr hohes Risiko“ ein. In Italien sind bereits 2.700 Menschen an COVID erkrankt und 107 Menschen daran gestorben. Österreich zählte bis zu diesem Zeitpunkt 24 Corona Infizierte.

Wien:
Die isländische Gesundheitsbehörde meldet dem österreichischen Gesundheitsministerium, dass drei isländische COVID-Kranke auf Skifahren in „Österreich“ und weitere vier isländische COVID-Fälle auf Skifahren in „Österreich/Trentino“ zurückzuführen sind (Dokument 1 ). Dieses Mail kommt über das offizielle Frühwarnsystem EWRS, über das sich europäische Staaten gegenseitig vor ansteckenden Krankheiten warnen.

Ischgl:
Im Hotel Garni M. landet die E-Mail einer isländischen Reiseleiterin. Zwei Isländer, die zu Gast gewesen waren, sind an COVID erkrankt. Sie hatten schon einen Tag nach der Rückkehr Krankheitssymptome. Auch ein dritter isländischer Gast in einem anderen Ischgler Hotel, das sie nicht benennt, hat COVID. Die Reiseleiterin weist in einem zweiten Mail darauf hin, dass beim Rückflug über München laut Airline eine infizierte Person an Bord gewesen sei, die aus Italien kam (Dokumente 2 und Dokument 3 ).



Das Gesundheitsministerium wartet ab, weil in der Warnung kein österreichischer Ort genannt wird. Bei sieben(!) COVID-Kranken hätte man nachfragen müssen.

Das Hotel war gesetzlich verpflichtet, die Mails sofort an die lokale Gesundheitsbehörde (Bezirkshauptmannschaft Landeck) weiterzuleiten. Österreich stufte seit 26. Jänner 2020 COVID offiziell als höchst ansteckende Krankheit ein und verlangt die sofortige Meldung von Verdachtsfällen und Erkrankten.


4. März 2020

Acht Covid-kranke Isländer

Wien:
Im Gesundheitsministerium in Wien trifft knapp vor Mitternacht über das Frühwarnsystem EWRS eine neue Warnung der isländischen Gesundheitsbehörde ein. Acht Isländer, die im Skigebiet Ischgl waren, sind an COVID erkrankt. Weitere Fälle sind zu erwarten. Dieses Mail wird sofort, kurz nach Mitternacht, an Innsbruck weitergeleitet (Dokument 4).

Ischgl:
Dieselbe isländische Reiseleiterin, die am Vortag die E-Mails verfasst hatte, schickt einem zweiten Hotel in Ischgl (Hotel N.) weitere Mails und meldet darin drei COVID-kranke Isländer, die dort genächtigt hatten. Eine davon ist sie, die anderen ihre Tochter und ihr Mann. Die Reisleiterin sagt, sie wisse nicht(!), wo sie infiziert worden seien, aber sie wisse, dass ein infizierter Mann im Flieger beim Heimflug gewesen sei, der aus Italien käme (Dokument 5).



Mit acht COVID-kranken Gästen aus Ischgl und dem Hinweis, dass es noch mehr werden, hätte das Gesundheitsministerium sofort re-agieren und nachfragen müssen.

Ein zweites Ischgler Hotel ignoriert die vorgeschriebene Meldepflicht und schweigt.

5. März 2020

Tirol ignoriert Covid-Kranke
Gefälschte Presseaussendungen
Tourismusverband verschweigt Kitzloch

Innsbruck:
Um halb neun in der Früh wissen auch alle Zuständigen in Tirol (die Tiroler Landesregierung in Innsbruck und die Bezirkshauptmannschaft Landeck als lokale Gesundheitsbehörde) Bescheid über die acht COVID-kranken Isländer (und mehr!).

Am Vormittag gibt es eine Besprechung der „Landeseinsatzleitung“, LEL. Vertreter aller wichtigen Abteilungen der Landesregierung (Landesamtsdirektion, Sanitätsdirektion, Öffentlichkeitsabteilung, das Büro von Landeshauptmann Platter) und Polizei, Bundesheer, Blaulichtorganisationen sowie Landeswarnzentrale nehmen daran teil. Geleitet wird die LEL vom Landesamtsdirektor. In der von 10 bis 11 Uhr dauernden Besprechung werden die offiziell gemeldeten COVID-Kranken aus Island nicht ernstgenommen. Es wird sogar daran gezweifelt, ob die Isländer überhaupt COVID haben, obwohl sie laut offiziellem Frühwarnsystem EWRS positiv getestet waren. Man beschließt nichts zu kommunizieren.

Ischgl:
Der Tourismusverband von Ischgl (TVB Paznaun – Ischgl) erfährt über die isländische Online-Zeitung „Visir“, dass acht COVID-kranke Isländer in zwei Gruppen zur selben Zeit in Ischgl gewesen sind. Der Tourismusverband von Ischgl ist eine Körperschaften öffentlichen Rechts und vertritt die Tourismuswirtschaft (Hotels, Gasthäuser, Ferienwohnungen, Seilbahnen, Campingplätze usw.) die – ebenso wie das Land Tirol – für diese Tourismusverbände zahlen.

Der Tourismusverband Ischgl trommelt für 13 Uhr die sog. „Ischgl-Corona-Gruppe“ zusammen. In dieser informellen Gruppe befinden sich alle „Big Player“ des Ortes: die Silvretta-Seilbahnen, der Tourismusverband Ischgl, die Polizei, der Bürgermeister und der Dorfarzt. Innerhalb dieser „Ischgl-Corona-Gruppe“ stößt man auf die von der isländische Reiseleiterin zwei Tage zuvor an die Ischgler-Hotels M. und N. adressierten E-Mails.

Diese E-Mails bringen den Geschäftsführer des TVB Ischgl auf die Idee, wie man von Ischgl als gefährlichen Ansteckungsort ablenken kann. Aus dem privaten Hinweis der isländischen Reiseleiterin, dass auf ihrem Rückflug ein infizierter Passagier aus Italien an Bord war, konstruiert er die Behauptung, dass sich alle(!) erkrankten isländischen Gäste am Rückflug im Flugzeug angesteckt hätten.

Er telefoniert zunächst mit dem Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit in der Landesregierung, der eine Presseaussendung vor-bereiteten ließ, weil sich inzwischen erste Medien mit Nachfragen gemeldet hatten. Danach leitet der Geschäftsführer die von der isländischen Reiseleiterin an die zwei Ischgler Hotels gerichteten E-Mails an die örtliche Gesundheitsbehörde (Bezirkshauptmannschaft Landeck) weiter. Mit dem Zusatz: „Habe F. K. gebeten, den Entwurf einer möglichen Meldung mit Dir abzustimmen“ (Dokument 6). F.K ist der Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, mit dem er vorher telefoniert hat.

Sieben Minuten später leitet der Bezirkshauptmann von Landeck diese Hotel-Mails an den Landesamtsdirektor in Innsbruck weiter, mit folgendem Hinweis: „Nach Rücksprache mit HLH ( Abkürzung für „Herrn Landeshauptmann“, Anmerkung) hier die beiden Mails von infizierten Personen. Sie geben an im Flugzeug von München nach Island infiziert worden zu sein. Das wäre für eine allfällige Presseaussendung der Abt. Öff. Wichtig. Damit hätten wir Ischgl vorerst aus dem Schussfeld.“ (Dokument 7).

Aus dem privaten Hinweis der Reiseleiterin auf einen mitfliegenden infizierten Passagier macht der Bezirkshauptmann von Landeck die Gewissheit, dass die Isländer im Flieger infiziert worden seien. Auch ein ehemaliger Obmann des Tourismusverbandes Ischgl und Hotelbesitzer mischt sich ein. Er setzt sich direkt mit dem Landeshauptmann in Verbindung und schickt an dessen Büro nochmals die Hotel-Mails der isländischen Reiseleiterin.

Die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit in Innsbruck reagiert prompt. Sie ändert die ursprüngliche Pressaussendung radikal. Ursprünglich (14:55 Uhr) hatte es faktengetreu geheißen „ Coronavirus: Zehn positiv getestete Gäste aus Island verbrachten Urlaub in Ischgl.“ (Dokument 8).

Jetzt (15:57 Uhr) heißt es im Titel: “Coronavirus: Isländische Gäste in Tiroler Oberland dürften sich bei Rückreise mit Corona-Virus angesteckt haben.“ (Dokument 9).

Der nächste Entwurf (16:17) enthält auch die Aussage des Sanitätsdirektors, es bestehe „aus medizinischer Sicht vonseiten der Landessanitätsdirektion kein Grund zur Annahme, dass es in Tirol zu weiteren Ansteckungen gekommen sein könnte.“

Mitten in diesen Manipulationsprozess poppt spätestens um 16:19 die neueste EWRS-Meldung der isländischen Gesundheitsbehörde in allen relevanten E-Mail-Accounts in Wien, Innsbruck und Landeck auf, auch im Postfach jener Mitarbeiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, die diese Presseaussendung koordiniert. In diesem offiziellen Mail wird eine Ansteckung aller Isländer am Rückflug ausgeschlossen. Denn die Kranken sind in unterschiedlichen Flugzeugen, zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Gruppen heimgeflogen. Ganz wichtig: Dieser Meldung ist auch zu entnehmen, dass zwei COVID-Kranke bereits in Ischgl Symptome hatten, einer davon bereits am 26. Februar. Das ist ein klarer Hin-weis, dass die Infektion isländischer Gäste schon in Ischgl passiert ist und dass das Virus in Ischgl grassiert (Dokument 10).

Um 17:14 Uhr geht dem Büroleiter von Landeshauptmann Platter plötzlich ein Licht auf. Nachdem er die EWRS-Meldung gelesen hat, zweifelt er dran, dass sich alle Isländer im Flugzeug angesteckt haben können (Dokument 11).

Trotzdem wird um 17:18 eine Presseaussendung verschickt und um 17:35 online publiziert: Unverändert und faktenwidrig mit dem Titel, dass sich die Isländer auf dem Rückflug angesteckt hätten. Und mit der Kernaussage, dass es unter dieser Annahme „aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich“ erscheint, „dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist“ (Dokument 12).

Dass diese Presseaussendung „in den Tatsachenaussagen falsch“ und „nicht nachvollziehbar“ ist, hat schon die sog. „Rohrer-Kommission“ festgestellt, die im Auftrag des Landes Tirol die Ereignisse untersucht und einen Bericht („Rohrer-Bericht“) darüber verfasst hat. Die falsche Presseaussendung habe einen „betrügerischen Beruhigungseffekt“ bei den Touristikern der betroffenen Gemeinden ausgelöst (Dokument 13). Der Dorfarzt von Ischgl titulierte sie vor der Rohrer-Kommission als „Blödsinn“.

  • Neu ist, dass diese falsche Presseaussendung auf Initiative der Tourismuswirtschaft, mit aktivem Zutun der lokalen Gesundheitsbehörde und mit Mitwirkung/Wissen von Landeshauptmann Platter zustande gekommen ist. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.
  • Neu ist auch, dass noch vor dem Aussenden der falschen Presseaussendung alle Beteiligten gewusst haben (oder wissen mussten), dass sich mindestens zwei isländische Gäste schon in Ischgl angesteckt haben und nicht erst im Flugzeug. Die falsche Presseaussendung erfolgte daher absichtlich, wider besseren Wissens. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung

Knapp vor Mittag steht der erste noch nicht abgereiste COVID-kranke Tourist im Bezirk Landeck fest: ein 22-jähriger norwegischer Student in Pettneu am Arlberg, der in einer engen Ferienwohnung mit drei Studenten einquartiert ist. Der Student ist in Ischgl und im dortigen Après-Ski-Lokal Kitzloch gewesen. Ob dies der extra aus Landeck angereiste Amtsarzt bei der Kontaktverfolgung herausgefunden hat, ist offen. In der entsprechenden Presseaussendung des Landes wird kein Wort darüber verloren, dass er in Ischgl und im Kitzloch gewesen ist. Dort wird lediglich auf einen Norweger „im Tiroler Oberland“ hingewiesen, der zuvor in Bologna gewesen ist.

Später an diesem Tag regt sich der Bezirkshauptmann von Landeck maßlos darüber auf, dass die Tirol Werbung in ihrer Presse-Information dazu ausdrücklich den Ort „Pettneu“ genannt hatte, während das Land Tirol nur vage vom „Bezirk Landeck “ berichtet hatte. Er schreibt: „Wir versuchen, den Ball flach zu halten…und die Tirol Werbung schreibt Untenstehendes….an alle TVB in Tirol, diese schreiben sämtliche Beherbergungsbetriebe an!!!!!…..“ „Sollte die Tirol Werbung nicht nur den Text der Abt. Öff.Arbeit übernehmen? Ist das im Sinne der LEL?“ (Dokument 14).

In Island warnt die zuständige Gesundheitsbehörde in einer Pressekonferenz vor Ischgl als „high-risk-area“ gleichauf mit China, Südkorea, Italien und Island. Davon wird Landeshauptmann Platter noch am Abend direkt von der Österreichischen Botschaft in Dänemark informiert, die auch Island betreut.

Der Tourismusverband, der die Idee zur Fälschung der Presseaussendung aktiv betrieben hat, bekommt am Abend direkt von der isländischen Gesundheitsbehörde die Information, dass die Isländer in verschiedenen Gruppen zu verschiedenen Zeiten heimgeflogen sind und eine Ansteckung am Flugzeug nicht in Frage kommt.

Der Tourismusverband erhält an diesem Abend noch ein weiteres Mail. Diesmal von der isländischen Reiseleiterin mit einer brisanten Information: das einzig Gemeinsame von zehn erkrankten Isländern war ein Besuch im Ischgler Après-Ski-Lokal „Ketzlock“ gewesen. Damit erfährt der Tourismusverband als erster schon am Donnerstag Abend, dass das Kitzloch ein gefährlicher Ansteckungsort ist – fünf Tage vor seiner Schließung (Dokument 15).

Was die Kontaktverfolgung der abgereisten Isländer betrifft, wartet man in Ischgl einerseits darauf, von der isländischen Behörde die Namen der Erkrankten zu erfahren. Andererseits sammelte die Polizei Ischgl auf Weisung des Bezirkshauptmannes bei 14 Ischgler Hotels die Meldezettel von 90 Isländern, die in den letzten drei Wochen dort ihren Urlaub verbracht hatten. Die Namen der isländischen Gäste wurden mit den Patienten des Dorfarztes verglichen. Dabei wurde kein einziger COVID-Fall festgestellt.



An diesem Tag ist an drei verschiedenen Stellen Vieles gründlich falsch gelaufen:

1. Lokale Gesundheitsbehörde:
Die zuständige lokale Gesundheitsbehörde tut alles, um die Existenz des Virus in Ischgl zu vertuschen, statt die vom Epidemie-Gesetz vorgeschriebenen Maßnahmen zu setzten und die Quelle der Infektionen so rasch als möglich zu finden und einzugrenzen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Weder wurde die Anreise neuer Touristen verhindert noch der örtliche Skibetrieb eingeschränkt oder geschlossen. Es wird nicht einmal gewarnt! Nicht einmal die seit spätem Nachmittag namentlich bekannten fünf Hotels mit COVID-kranken Isländern wurden sofort überprüft.

Fehler gibt es auch bei der Kontaktverfolgung (Contact-Tracing):
Der norwegische Student in Pettneu ist nicht nur in Bologna gewesen, sondern auch in Ischgl und im Kitzloch. Fakten, die man entweder nicht entdeckte oder schlicht verschwieg. Mit den drei engen Kontaktpersonen des Studenten war ein Cluster zu befürchten (zwei davon sind später tatsächlich erkrankt).

Bei den 14 heimgereisten COVID-kranken Isländern wartete man darauf, von Island die Namen der Erkrankten zu erfahren. Man begnügte sich mit dem Abgleich der Meldezettel von 90 isländischen Ischgl-Gästen mit der Patientenkartei des Dorfarztes. Als ob das COVID-Virus stets nur isländische Gäste infiziert, die ausnahmslos beim Dorfarzt landen. Niemand dachte an die naheliegende Möglichkeit, dass auch andere Gäste angesteckt wurden, die zur selben Zeit in Ischgl in denselben Hotels gewesen sind wie die Isländer. Tatsächlich erkrankten weitere Hotelgäste an COVID wie der Verbraucherschutz (VSV) nachweisen kann.


2. Tiroler Landesregierung (Landeseinsatzleitung, Sanitätsdirektion):
In der Landesregierung in Innsbruck wurden die frühmorgendlichen Meldungen des offiziellen EWRS Frühwarnsystem völlig ignoriert und verharmlost. Dass die Tiroler Regierung bei acht (oder mehr!)

COVID-Kranken mit Ischgl-Bezug tatenlos blieb verwundert, denn Tage zuvor griffen dieselben Tiroler Behörden bei weniger Fällen hart durch: So stoppten sie am 23. Februar einen Zug aus Venedig am Brenner stundenlang und schickten sogar die COBRA, weil zwei COVID-verdächtige Mädchen an Bord vermutet wurden, die bereits in Verona den Zug verlassen hatten. Am 25. Februar wurde das Hotel Europa in Innsbruck sofort geschlossen, als man bei einer italienische Rezeptionistin und ihrem Freund COVID entdeckte. Bei Hotel-Gästen, Mitarbeitern und in ihrem privaten Umfeld gab es umfangreiche Nachforschungen.

Eine entgegengesetzte Reaktionen in Ischgl: Anstatt vor der Ansteckungsgefahr zu warnen, täuschte man alle mit bewusst falschen Presseaussendungen und wog die Menschen in falscher Sicherheit. Belogen wurden nicht nur die Öffentlichkeit und Medien, sondern auch alle Tiroler Tourismusbetriebe (über Tirol Werbung und Tourismusverbände). Die Idee zur falschen Presseaussendung ging vom Tourismusverband aus, wurde von der örtlichen Gesundheitsbehörde aktiv betrieben und erfolgte unter Mitwissen des Landeshauptmanns. Alle Zuständigen wussten bereits vor dem Verschicken der Presseaussendung, dass die Behauptung, die Isländer hätten sich am Rückflug angesteckt, faktenwidrig war. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Auch später wurde die irreführende Presseaussendung niemals korrigiert oder widerrufen, stellte die „Rohrer-Kommission“ fest. Zu überprüfen ist noch der genaue Zeitpunkt des Verschickens der Presseaussendung. Wurde diese sogar erst um 18 Uhr veröffentlicht, wie aus einem Protokoll der Polizei hervorgeht? Wenn dies zutrifft, hätte es Zeit genug gegeben, sie nach Erhalt der EWRS-Meldung richtig zu stellen.

Auch über den erkrankten norwegischen Student in Pettneu wurde via Presseaussendung die Spuren nach Italien gelegt, anstatt nach Ischgl, wo er und seine Kollegen tatsächlich zuletzt gewesen sind.

Für die Medienarbeit ist Landeshauptmann Platter zuständig. Eine besondere Verantwortung kommt dem Leiter der Sanitätsdirektion zu, der in der Presseaussendung über die Isländer wörtlich zitiert wird und der die Fachaufsicht über die Amtsärzte hat.


3. Gesundheitsministerium Wien:
Im Gesundheitsministerium fragte niemand offiziell in Island nach, obwohl klar war, dass es mehr werden als die genannten acht COVID-Fälle. Der in letzter Instanz verantwortliche Gesundheitsminister hätte per Weisung an Landeshauptmann Platter die sofortige Schließung des Paznauntals anordnen müssen – noch vor dem bevorstehenden Urlauberschichtwechsel. Stattdessen schaute man von Wien aus tatenlos zu, wie in Tirol (vom Land Tirol, von der Bezirkshauptmannschaft Landeck und vom Tourismusverband) die Gefahr vor COVID-Ansteckungen in unverantwortlicher Weise heruntergespielt wurde.

6. März 2020

Tirol ignoriert das COVID-Cluster Kitzloch
Lokale Gesundheitsbehörde versagt beim Contact-Tracing
Presseaussendung legt falsche Spur

Die gestrige E-Mail der isländischen Reiseleiterin an den Tourismus-verband über das „Ketzlok“, erreicht bis kurz vor zehn Uhr alle Zuständigen der Bezirkshauptmannschaft Landeck und der Landesregierung Tirol, darunter auch das Büro des Landeshauptmanns Platter. Dort wissen jetzt alle, dass das Kitzloch bei zehn von 14 isländischen COVID-Kranken eine wesentliche Rolle spielt. Die lokale Gesundheitsbehörde tut diesbezüglich nichts Sichtbares. Das Gesundheitsministerium in Wien erfährt offensichtlich nichts davon.

Die Nervosität bei den Touristikern in Ischgl steigt. Kurz vor Mittag fordert der Tourismusverband Ischgl mit einer E-Mail alle seine Beherbergungsbetriebe („Vermieter“) auf, Kommentare in den sozialen Medien zu vermeiden und sich auf facebook zurück-zuhalten (Dokument 16). Dieser „Maulkorb“ für die Einheimischen wird auch per SMS verschickt. „Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir was vertuschen wollen“ (Dokument 17).

Auf Druck der „Ischgl-Corona-Gruppe“ übt die Öffentlichkeitsabteilung des Landes auch massiven Druck auf Medien aus, darunter auf das Medium „OE 24.“

Das Gesundheitsministerium in Wien erhält um 10 Uhr von Island alle Namen der erkrankten 14 Isländer. Erst drei Stunden später wird diese Namensliste nach Innsbruck und Landeck weitergeleitet. Jetzt beginnt die Polizei Ischgl das Hotelpersonal in den fünf betroffenen Hotels zu fragen, ob sie mit den erkrankten Isländern mehr als 15 Minuten im Abstand von weniger als 1,5 Meter zusammen waren.

In Ischgl spielt sich von 13 bis 15 Uhr ein unglaublicher E-Mail-Verkehr zwischen einer niederländischen Reiseleiterin und dem Tourismusverband Ischgl (TVB) ab, wie ihn Sebastian Reinfeldt in seinem Buch „Alles richtig gemacht? Ischgl und die Folgen“ (BoD – Norderstedt, 2020, Seiten 50 ff) als Erster veröffentlichte. Die holländische Reiseleiterin hatte eine Ischgl-Reise storniert, nachdem sie mit den isländischen Behörden in Kontakt getreten war. Sie warnt eindringlich vor der der Behauptung, die infizierten

Isländer hätten sich alle am Rückflug angesteckt. Sie ist sich nach doppeltem Check mit den Behörden in Island absolut sicher, dass die Ansteckung der Isländer in Ischgl erfolgte. Schließlich mailt sie dem Tourismusverband sogar die Telefonnummer der isländischen Behörde mit dem Rat, dort nachzufragen. Die Antwort des Tourismusverbands: „We trust our authorities“ (Dokument 18).

Das Kitzloch sperrt wie immer ab 15:00 Uhr auf und bietet dem Virus ideale Bedingungen, sich auszubreiten. Nur jener deutscher Kellner, der am nächsten Tag als norwegischer Barkeeper bekannt und als COVID-Fall auffliegen wird, wird ein bis zwei Stunden nach Arbeitsbeginn von seinem Chef nach Hause geschickt, weil er nicht gut aus-schaue. Tatsächlich hat er seit Tagen Kopfweh.

In der Nachmittagssitzung der Landeseinsatzleitung (LEL) von 16 bis 17 Uhr in Innsbruck gibt der Sanitätsdirektor völlige Entwarnung für Ischgl. “Die Ischgl-Thematik ist geklärt“. Wie kam es dazu? Die Polizei hatte beim Abklappern des Personals in allen fünf Island-Hotels nur einen einzigen Verdachtsfall gefunden: ein Zimmermädchen im Hotel M. Obwohl diese Mitarbeiterin erst am nächsten Tag offiziell von den Epidemie-Ärzten negativ(!) getestet wurde, erfolgte jetzt schon die Entwarnung.

Knapp vor 18 Uhr erfährt die Polizei Ischgl von der isländischen Reiseleiterin mit Verspätung, was der Tourismusverband schon seit gestern und die örtliche Gesundheitsbehörde und das Land Tirol seit heute früh schon wissen: dass zehn der 14 COVID-kranken Isländer das „Ketzlok“ besuchten. Um 19:40 schreibt die Polizei Ischgl an die Landespolizeidirektion, an die Bezirkshauptmannschaft Landeck, an den Amtsarzt, an den Dorfarzt und an den Tourismusverband Ischgl, dass es „nach Rücksprache mit den Lokalbetreibern […] jetzt nicht möglich gewesen [sei], geeignete Kontakterhebungen durchzuführen.“ Diese Kontakterhebungen werden „ auf morgen Vormittag“ verschoben, informiert die Polizei und beruft sich auf die Zustimmung des Amtsarztes (Dokument 19).

Um 18:15 werden offiziell drei weitere COVID-Kranke bestätigt:
Drei norwegische Erasmusstudenten (einer wohnhaft in Hall, die anderen zwei in Innsbruck).

Das Land Tirol zitiert in einer Presseaussendung spät abends:
„Alle drei haben angegeben, in den letzten Tagen engen Kontakt mit weitern Norwegern gehabt zu haben, die in Norwegen positiv auf Corona getestet wurden“. Das ist nur die halbe Wahrheit. In der Sanitätsdirektion des Landes Tirol weiß eine Mitarbeiterin schon am selben Abend, dass die drei kranken Erasmusstudenten in Ischgl Ski gefahren sind! Dieselbe Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion findet zwei Tage später (am Sonntag) heraus, dass diese Studenten auch im Kitzloch gewesen sind.

Die renommierte Virologin an der Universität Innsbruck, Univ. Professorin Dorothee von Laer gibt in einem TV-Interview mit dem deutschen Sender WDR an, bereits eine Woche vor dem 13. März 2020 die zuständige Landesstellen gewarnt zu haben, also an diesem Freitag.

Die APA meldet an diesem Tag, dass Island Ischgl als Hochrisikogebiet eingestuft hat.

An diesem Freitag – vor dem großen Urlauberschichtwechsel – gibt es in Zusammenhang mit Ischgl bereits 18 bekannte COVID-Kranke: die 14 abgereisten Isländer, ein norwegischer Student in Pettneu und die drei norwegische Erasmusstudenten in Innsbruck/Hall.

14 der 18 COVID-Kranken waren im Kitzloch, das damit eindeutig als „superspreader“ feststeht.



Die örtliche Gesundheitsbehörde hat wieder komplett versagt, vor allem beim Contact-Tracing. Bei sofortigen Nachforschungen im Kitzloch hätte man nicht nur den Kitzloch-Kellner einen Tag früher entdeckt, sondern auch seine 22 Kontaktpersonen, von denen 16(!) tatsächlich COVID hatten. Nicht nur das Kitzloch, sondern ganz Ischgl und das ganze Paznauntal hätten vor dem Urlauberschicht-wechsel dringend gesperrt werden müssen.

Wer hat die sofortigen Nachforschungen im Kitzloch gestoppt? Der Kitzlochbetreiber, mit Zustimmung des Amtsarztes! Warum hat der Tourismusverband den Einheimischen einen Maulkorb verpasst und eine bestens informierte holländische Reiseleiterinnen abge-schmettert? Für alle Beteiligte gilt die Unschuldsvermutung. Man sieht, wer in Ischgl das Sagen hat.

Das Contact-Tracing hat nicht nur in Bezug auf das Kitzloch versagt, sondern auch in Bezug auf die heimgereisten COVID-kranken Isländer. Weder der Amtsarzt in der örtlichen Gesundheitsbehörde in Landeck noch die Sanitätsdirektion in Innsbruck kamen auf die nahe-liegende Idee, nach Gästen zu fragen, die zur gleichen Zeit in den gleichen Hotels wie die Isländer untergebracht waren. Man hätte diese Menschen dringend warnen bzw. informieren müssen. Schließlich war ja nicht auszuschließen, dass sie beim Frühstück, beim Abendessen, in der Sauna oder beim abendlichen Zusammenhocken an der Hotel-Bar mehr als 15 Minuten und unter 1,5 Meter Distanz mit den Erkrankten im selben geschlossenen Raum gewesen sind. Allein beim Verbraucherschutzverein meldeten sich 65 erkrankte Urlauber, die zur selben Zeit bzw. unmittelbar nach den Isländern in diesen fünf Hotels abgestiegen waren.

Der Sanitätsdirektor gab sogar Entwarnung für Ischgl zu einem Zeitpunkt, in dem der einzig aufgefundene Verdachtsfall (Zimmermädchen) noch nicht offiziell getestet war. Wie konnte er zu diesem Zeitpunkt wissen, dass sie negativ war?

Auch das mediale Lügen ging weiter. Bei den drei erkrankten norwegischen Erasmusstudenten wurde in der Presseaussendung eine falsche Spur in Richtung Norwegen gelegt, obwohl man in der Sanitätsdirektion bereits weiß, dass sie in Ischgl gewesen sind. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Zu prüfen ist, ob und wann die zuständigen Stellen in Tirol die neuen drei COVID-Fälle an die zuständigen Stellen in Wien (ans Gesundheits- und Innenministerium) weiterleiteten.

7. März 2020

„Norwegischer“ Kitzloch-Kellner
Trotz Empfehlung der Sanitätsdirektion wird Kitzloch nicht geschlossen

Am frühen Vormittag wird beim „ordentlich grippigen“ Kitzloch-Kellner ein Abstrich gemacht. Und zwar vom Dorfarzt, der Schutzkleidung trägt, in dessen Ordination. Der Abstrich wird von Epidemie-Ärzten nach Innsbruck zur Auswertung gebracht.

Die von der Polizei Ischgl für Vormittag angekündigte Kontaktverfolg-ung im Kitzloch findet nicht statt.

15:00 Uhr. Das Après-Ski-Lokal Kitzloch in Ischgl sperrt auf, obwohl der lokalen Gesundheitsbehörde bereits bekannt ist, dass der Kitz-loch-Kellner ein Verdachtsfall ist und die Polizei zu Mittag bei ihm eine Kontakterhebung durchgeführt hat. Daraus geht klar hervor, dass er ein Deutscher ist.

Laut dem stellvertretenden Bezirkshauptmann von Landeck machen die Epidemie-Ärzte am Nachmittag Tests, vor allem beim Kitzloch-Personal. Was dabei herauskam, ist unbekannt.

Um 19:15 erfährt die lokale Gesundheitsbehörde, dass der Kitzloch-Kellner COVID hat.

In der Sanitätsdirektion in Innsbruck empfiehlt eine Mitarbeiterin dem Amtsarzt die sofortige Schließung des Kitzlochs, was aber nicht passiert.

Um 19:45 informiert die örtliche Gesundheitsbehörde die Polizei in Ischgl über den COVID-kranken Kitzloch-Kellner. Jetzt erst beginnt die Polizei mit den Kontakterhebungen im Kitzloch. Sie findet elf Personen mit Krankheitssymptomen, darunter auch einen Gast. Weitere acht Personen sind ohne Symptome. Alle müssen auf ihre Zimmer, das Kitzloch bleibt offen.

Über den Kitzloch-COVID-Kellner informiert die Polizei Ischgl gegen 20 Uhr die Landesregierung in Innsbruck und das SKKM (Staatliches Krisen- und Katastrophenschutzmanagement) im Innenministerium in Wien.

Der Dorfarzt meldet diesen COVID-Fall gegen 21 Uhr der „Ischgler-Corona-Gruppe“ via Whatsapp, noch bevor die APA um 22:31 eine Pressemeldung verbreitet. Darin ist – faktenwidrig! – von einem „Norweger“ die Rede statt von einem Deutschen.

Um 22 Uhr wird der Kitzloch-Kellner mit der Rettung nach Innsbruck gebracht, wo er zehn Tage lang bleiben muss.

Erst „kurz vor Betriebsschluss“ wird das Kitzloch für diesen Tag geschlossen.



Wieder läuft Vieles falsch, vorrangig bei der örtlichen Gesundheitsbehörde in Landeck, aber auch in der Landesregierung in Innsbruck.

Der Dorfarzt, der beim Kitzloch-Kellner den Abstrich macht, darf laut Gesetzeslage gar keine Abstriche durchführen, sondern nur die extra dafür eingesetzten Epidemie-Ärzte, die von außerhalb des Dorfes kommen, in diesem Fall vom Krankenhaus Zams. Zu prüfen ist, ob dies bereits der zweite Abstrich durch den Dorfarzt beim Kitzloch-Kellner war oder doch der erste, die Unterlagen sind ungenau.

Amtsarzt, Dorfarzt und die lokale Gesundheitsbehörde (Bezirkshauptmannschaft Landeck) wissen seit Mittag von der Polizei, dass es im Kitzloch einen Verdachtsfall gibt. Warum lassen sie zu, dass das Kitzloch regulär um 15 Uhr aufsperrt, anstatt die Aufklärung des Verdachtsfalles abzuwarten? Noch dazu, wo amtsbekannt ist, dass bereits zehn COVID-kranke Isländer als einzige Gemeinsamkeit einen Aufenthalt im Kitzloch hatten.

Offen ist, wo denn die Ergebnisse jener Tests (Abstriche) geblieben sind, die von den Epidemie-Ärzten angeblich am Nachmittag beim Kitzloch-Personal durchgeführt wurden?

Hat die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion in Innsbruck dem Amtsarzt in der BH Landeck tatsächlich eine Weisung gegeben, das Kitzloch zu schließen? Wenn ja, wer ist für das Zuwiderhandeln zur Verantwortung zu ziehen?

Wieso hat man angesichts der entdeckten elf sichtbar kranken Kitz-loch-Mitarbeiter nicht sofort ab 20 Uhr das Kitzloch geschlossen, statt erst „kurz vor Betriebsschluss“ gegen Mitternacht?

Warum ist in der Presseaussendung des Landes Tirol über den Kitz-loch-Kellner von einem „Norweger“ die Rede, obwohl man amtlich genauestens weiß, dass es sich um einen Deutschen handelt? Passt das gut in die Erzählung, dass das Virus stets nur Menschen befällt, die von weit her kommen, von Island oder Norwegen? Es gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Wie kann man in der Presseaussendung vorab von einem „milden Verlauf“ sprechen, wenn der Kellner mitten in der Nacht mit der Rettung nach Innsbruck in die Klinik transportiert werden muss und dort zehn Tage lang bleiben muss, weil es ihn so stark erwischt hat?

Aus dem zeitlichen Ablauf ergibt sich eindeutig, dass es die isländische Reiseleiterin gewesen ist, die schon zwei Tage davor den Tourismusverband und einen Tag davor die Polizei Ischgl auf das Kitzloch als mögliches COVID-Cluster aufmerksam gemacht hat. Wie konnte man zwei wertvolle Tage verstreichen lassen?

Lügen Dorfarzt und Amtsarzt wenn sie behaupten, dass das Auf-fliegen des Kitzloch-Kellners ihr Verdienst gewesen und auf „ihre Vereinbarung“ zurückzuführen sei? Mit „ihrer Vereinbarung“ hatten sie eigenwillig festgelegt, dass der Dorfarzt alle Patienten mit Grippesymptome automatisch auf COVID testet. Damit haben sie die geltenden gesetzlichen Vorschriften missachtet, wonach nur die Epidemie-Ärzte testen dürfen und das nur bei Menschen mit COVID-Symptomen.

8. März 2020

Wiedereröffnung Kitzloch trotz COVID-Cluster
Falsche, beruhigende Presseaussendung
Verspätete Testergebnisse
Verschwundene Proben

Der Amtsarzt ist ab 8 Uhr in der Früh in Ischgl. Beim Kitzloch-Besitzer (Vater), weil der Kitzloch-Betreiber (Sohn) als Verdachtsfall bereits isoliert wurde und sich später als COVID-Fall herausstellt.

Der Amtsarzt verordnet in Absprache mit der Sanitätsdirektion, dass alle 19 Kontaktpersonen des COVID-kranken Kitzloch-Kellners auf COVID getestet werden. Die Abstriche werden so langsam durch-geführt und/oder übermittelt, dass sie keinen der zwei Testläufe schaffen, die an Wochenenden von der Uniklinik in Innsbruck durch-geführt werden (14 und 17 Uhr). Zwei Stuhl- und Blutproben, die von der Sanitätsdirektion angeordnet und von Amts- und Dorfarzt koordiniert werden sollten, gehen verloren. Sie wurden angeordnet, um genauere Infos über die Art des Virus und die Dauer der Erkrankungen zu erhalten.

Die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion erfährt von der isländischen Reiseleiterin noch am Vormittag genauer, dass die 10 COVID-kranken Isländer zweimal im Kitzloch gewesen sind, am 27. und 28. Februar. Sie leitet diese Informationen an ihren Chef (Sanitätsdirektor), an den Amtsarzt und an die stellvertretende Landesamtsdirektorin weiter, die den Landesamtsdirektor an diesem Sonntag vertritt.

Weiters berichtet sie am Vormittag in der Landeseinsatzleitung-Sitzung (LEL), dass der Ansteckungszeitraum im Kitzloch schon drei Wochen zurückliegt und noch viele Ansteckungsfälle zu erwarten sind. Sie meldet, dass alle Kontaktpersonen abgestrichen wurden und dass die Bar (Kitzloch) geschlossen sei. Letzteres trifft zu. Aber nur für den Vormittag, da Après-Ski-Bars nicht vor 15:00 Uhr öffnen.

Zusammen mit den Amtsarzt (vor Ort) und ihrem Vorgesetzten (Sanitätsdirektor) trifft diese Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion in Innsbruck eine folgenschwere Fehlentscheidung: Das Kitzloch darf wieder aufsperren, wenn eine Wischinfektion durchgeführt und das komplette Personal ausgetauscht wird, das mit den COVID-Verdächtigen im selben Personalhaus untergebracht war.

Der stellvertretende Bezirkshauptmann von Landeck antwortet später vor der „Rohrer Kommission“ auf die Frage, wer auf die Wiedereröffnung gedrängt hat: „Natürlich hat der Betreiber gefragt, wie es weiter geht.“ (Dokument 20).

Die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion erklärt vor der Rohrer-Kommission, sie sei davon ausgegangen, dass das Kitzloch ein Restaurantbetrieb sei, bei dem ein Kellner nie länger als 15 Minuten mit weniger als 1,5 Meter Abstand Kontakt mit den Gästen hat. Tat-sächlich wird das Kitzloch abends ab 20:00 Uhr offiziell als Restaurant geführt. Die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion war offen-bar nicht darüber informiert, dass das Kitzloch von 15 bis 19 Uhr als Après-Ski-Bar betrieben wird.

Zwischen 10 und 13 Uhr arbeitet der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit an einer Presseaussendung. Der Tourismusverband Ischgl und der Bezirkshauptmann von Landeck mischen dabei wieder mit.

Um 12:57 wird die Presseinformation publiziert.

Darin wird die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion zitiert: „dass eine Übertragung auf Gäste der Bar aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich sei“. Gleichzeitig werden in dieser Presseaussendung alle aufgerufen, sich zu melden, wenn sie Krankheits-Symptome haben und zwischen 15. Februar und 7. März das Kitzloch besucht haben. In der Presseaussendung ist noch immer fälschlicherweise von einem Norweger die Rede (Dokument 21). Anders als am Vortag ist jetzt nicht mehr von einem Kellner die Rede, sondern von einem „Barkeeper“. Die Zahl der COVID-verdächtigen Kontaktpersonen des Kitzloch-Kellners steigt im Laufe des Tages von 19 auf 22.

Trotzdem ist das Kitzloch ab 15 Uhr wieder offen und an diesem Tag mit 200 Gästen gut gefüllt.

Danach melden die Gesundheitsbehörden aus Dänemark und Norwegen über das Frühwarnsystem EWRS: vier Dänen und eine noch nicht genannte Anzahl von in Ischgl gewesener Norwegern haben COVID.

Die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion entdeckt spät am Abend durch intensives Nachfragen, dass die seit Freitag feststehenden drei COVID-kranken Erasmus-Studenten aus Innsbruck/Hall nicht nur Ischgl besuchten, sondern auch das Kitzloch. Ihre Reaktion: “…dort ist der HOTspot“ (Dokument 22).



In Ischgl, Landeck und Innsbruck läuft weiterhin Vieles schief:

Die gefährlichste Fehlentscheidung war die Wiedereröffnung der Après-Ski-Bar Kitzloch. Wie konnte es dafür grünes Licht von der lokalen Gesundheitsbehörde und von der Landesregierung (Sanitätsdirektion) geben, obwohl die Zuständigen längst wussten, dass sich dort bereits zehn COVID-kranke Isländer aufgehalten haben, es einen nachweislich COVID-kranken Kellner und aktuell 22(!) neue Verdachtsfällen gab, wovon schon elf sichtbar krank waren! Man hätte das Kitzloch wenigstens so lange sperren müssen, bis diese große Zahl von neuen Verdachtsfällen geklärt sind. Wieso die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion irrtümlich an eine Wiedereröffnung eines reinen Restaurantsbetriebs im Kitzloch glaubte, ist mehr als aufklärungsbedürftig. Wurde die ansonsten sehr engagiert wirkende Ärztin falsch oder ungenügend informiert?

Wieso konnte der anwesende Amtsarzt einer simplen Wischaktion als Voraussetzung fürs Aufsperren zustimmen? Wie realistisch war – mitten in der Wintersaison! – ein Austausch mit komplett neuem Personal? Wurde vorher überprüft, ob das ausgetauschte Personal nicht auch schon infiziert war? Es wurde ja aus anderen Hotels der Eigentümerfamilie geholt, die teilweise im selben Mitarbeiterhaus untergebracht waren und Kontakt zueinander hatten.

Für die „Rohrer-Kommission“ wäre die „komplette Schließung“ des Kitzlochs zu diesem Zeitpunkt schon angemessen gewesen. Diese Kommission rechnet vor, dass eine sofortige Schließung des Kitzloch bis zum geplanten Saisonende am 2. Mai einen wirtschaftlichen Verlust von 855.000 Euro bedeutet hätte (Dokument 23).

Die Landesregierung Tirol hat auch jetzt wieder die Öffentlichkeit falsch und irreführend informiert, befand die „Rohrer-Kommission“. Hätte sie offen kommuniziert, was sie als Behörde bereits wusste(!) – dass sich das Kitzloch und Ischgl zu einer „superspreader aera“ entwickelt hat – wären Gäste nicht mehr angereist oder sofort abgereist.

Kritisiert wird von der „Rohrer-Kommission“ insbesondere, dass ein Kellner faktenwidrig als Barkeeper bezeichnet wurde. „Schon eine einfache Überprüfung hätte ergeben, dass der positiv getestete Mitarbeiter des „Kitzloch“ nicht Barkeeper, sondern ein mit engerem Gästekontakt arbeitenden Kellner war…(Dokument 24). So eine Umbenennung passiert nicht zufällig, sondern mit der Absicht, alles zu verharmlosen. Ein Barkeeper arbeitet stets hinter der Budel, also etwas abgeschirmter von den Gästen und ist nicht mitten im Geschehen wie ein Kellner einer überfüllten Après-Ski-Bar. Merk-würdig, dass sich später vor der Staatsanwaltschaft keiner der Beteiligten daran erinnern konnte, wer den „Barkeeper“ ins Spiel gebracht hat. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

Die „Rohrer-Kommission“ weist auf das „besonders schädliche“ und „abträgliche Vorgehen“ durch die falsche Presseinformation hin, weil dadurch bei „Tourismusunternehmen“, aber auch bei „Gästen“ der falsche Eindruck erweckt werden konnte „das Befolgen von Anordnungen der Behörden sei nicht erforderlich“ (Dokument 25).

Die „Rohrer-Kommission“ verweist auf die besondere Bedeutung der Sanitätsdirektion „in einer gesundheitsbedrohenden Krisensituation“ und auf ihre personelle Ausstattung mit 50 Personen. Die Sanitätsdirektion habe auch „Leitlinien für die Amtsärzte“ vorzugeben (Dokument 26).

Zu klären ist, warum und von wem die Auswertung von so vielen Verdachtsfällen – 22(!) – verzögert wurde? Kamen die Tests zu spät nach Innsbruck oder wurden sie dort vernachlässigt? War es eine Kombination von beidem? Fehlten die Teströhrchen? Gab es zu wenige Epidemie-Ärzte? Wer hat das Verschwinden wichtiger Stuhl- und Harnproben zu verantworten, die von der Sanitätsdirektion angeordnet wurden?

Beim Contact-Tracing wurde neuerlich auf die größte Unsicherheitskomponente vergessen, auf die Gäste. Man ignorierte die Tatsache, dass sich auch Gäste angesteckt haben könnten und suchte ausschließlich beim Personal.

9. März 2020

Tirol sperrt eine Bar, Südtirol die ganze Saison
„Hottentotten“ SMS an „Kitzloch-Betreiber“
Dänemark, Norwegen und Schweden warnen vor Tirolreisen

In der Nacht meldet die norwegische Gesundheitsbehörde über das Frühwarnsystem EWRS dem österreichischen Gesundheitsministerium 18 mit COVID-Infizierte norwegische Rückkehrer, davon 15 in Zusammenhang mit Ischgl.

In Innsbruck gibt es einen neuen offiziellen COVID-Kranken: ein 48-jähriger Innsbrucker.

In der Vormittagssitzung der Landeseinsatzleitung (LEL) in Innsbruck spricht sich der Sanitätsdirektor dafür aus, das Kitzloch weiter offen zu lassen, falls das Küchenpersonal clean ist. Obwohl schon bekannt ist, dass auch die 18 COVID-kranken Norweger „in der Bar“ gewesen sind. Für Landeshauptmann Platter wäre eine 14tägige Schließung des Kitzloches „anzudenken“ – wegen der beruhigenden Außenwirkung. Er setzt sich nicht durch. Eine Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion erinnert daran, dass positive Tests vorschriftsgemäß sofort gemeldet werden müssen und drängt darauf, die aktuellen Ischgl-Fälle auch übers das ERWS-Frühwarnsystem an andere EU-Staaten weiter zu melden.

14:30 Testergebnis: 16 der 22 Kitzloch-Kontaktpersonen haben COVID!

15:00 Das Kitzloch sperrt wieder regulär auf.

Irgendwann an diesem Tag schickt F. H., der oberste Vertreter der Seilbahnwirtschaft in der Wirtschaftskammer, ÖVP-Abgeordneter im Nationalrat und Hotelier im Zillertal sein berühmtes „Hottentotten“ SMS an den Kitzloch-Besitzer (Dokument 27).

„Das ganze Land schaut auf euer Lokal – wenn eine Kamera den betrieb sieht stehen wir Tiroler da wie ein Hottentotten Staat und stehen ganz schnell auf der Deutschen Liste!! Sollte die Saison einbrechen hast in diesem Kitz loch und im Kuhstall KEIN GESCHÄFT!!

Du provozierst das derzeit…Bitte nimm Vernunft – nach einer Woche 10 Tagen isst viell Grad über die Sache gewachsen und dann kannst eh weiter entscheiden

Bitte seh das ein

Hg [F. H.]“


17:00: Die Kitzloch-Sperre erfolgt mündlich

16:09 bis 18:25: In der nachmittäglichen LEL-Sitzung in Innsbruck wird für Ischgl eine Halbierung der Personen in Gondeln und Bussen angedacht. Aber erst für den nächsten Tag.

21:20: Polizei überreicht den Bescheid über die Kitzloch-Sperre erst jetzt, weil der Besitzer keine Gewerbeberechtigung hat und der Bescheid zunächst an die Vorgängerin ging.

Kurz vor 22 Uhr geht eine Presseaussendung des Landes Tirols über die Umstellung der Uni Innsbruck auf Fernunterricht hinaus. Dabei wird auch auf zwei neue COVID-kranke Studenten hingewiesen. In der finalen Presseaussendung ist der Hinweis weggefallen, dass ein Zusammenhang mit den drei Erasmusstudenten und Ischgl nicht ausgeschlossen werden könne.

Die Lage in Tirol spitzt sich drastisch zu. Dänemark, Norwegen und Schweden warnen vor Reisen nach Tirol wie am Donnerstag zuvor schon Island. Die Landeswarnzentrale (LWZ) in Innsbruck ist über-lastet und hört damit auf, die Verdachtsfälle zu zählen. Nur mehr Kranke werden gemeldet.

Am Ende des Tages gibt es in Tirol 65 bestätigte COVID-Kranke (23 aktuelle und 42 abgereiste Fälle), von denen 54 auf Ischgl zurückzuführen sind.

Die 23 aktuellen Fälle teilen sich wie folgt auf: einer in Pettneu, drei Erasmusstudenten in Innsbruck/Hall, ein Fall in Kitzbühel, der Kitzloch-Kellner, ein 48jähriger Innsbrucker,16 Kitzloch-Mitarbeiter. 21 der 23 Fälle haben einen Ischgl-Bezug.

Die 42 abgereisten COVID-Kranken teilen sich wie folgt auf: 14 aus Island, vier aus Dänemark, 18 aus Norwegen, sechs aus Finnland. 39 der 42 Fälle haben einen Ischgl-Bezug.

Zum Vergleich: Südtirol beendet bei 36 COVID-Kranken vorzeitig die ganze Skisaison. Tirol schließt bei 65 COVID-Kranken nur eine einzelne Après-Ski-Bar.



Das Organversagen setzt sich auf allen Ebenen fort. Die Pannenserie bei der Auswertung der 22 Kitzloch-Verdachtsfälle geht weiter. Warum dauerte die Auswertung in der Virologie dermaßen lang?

Laut „Rohrer Kommission“ hätte spätestens am Montag, 9.3. die Skisaison in Ischgl vorzeitig beendet werden müssen. Wäre Ischgl vier Tage früher geschlossen worden als am Freitag dem 13.3, hätte das für Ischgl einen Umsatzverlust von 10 Millionen Euro bedeutet, rechnet die „Rohrer-Kommission“ vor (Dokument 28).

Die Aussage des zuständigen Abteilungsleiters in der Ages vor der Rohrer-Kommission: Am 9.3. habe klar sein müsse, dass der Hut brenne, und man nicht glauben könne, dass sich die Fälle auf das „Kitzloch“ beschränken würden, da Mitteilungen aus Island, Dänemark und Norwegen über positive Fälle vorgelegen seien.

Nach Zusperren des Skigebiets Ischgl wären Gäste auf andere Orte Tirols ausgewichen. Daher hielt es die „Rohrer-Kommission“ für an-gemessen, die Saison in ganz Tirol vorzeitig zu beenden. Das hätte 1,2 bis 2 Milliarden Euro Umsatzverlust bedeutet (Dokument 29).

Warum musste die Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion in der LEL Sitzung mahnen, dass positive COVID-Kranke laut Erlass sofort gemeldet werden müssen? Gab es dafür einen konkreten Grund? Wieso wurde trotz mehrfacher Anregung der Sanitätsmitarbeiterin das Kitzloch bzw. Ischgl noch immer nicht über das Frühwarnsystem EWRS als „Superspreader“ gemeldet?

Die mediale Desinformation geht weiter, ein möglicher Zusammenhang zwischen neu erkrankten Studenten und den drei Erasmusstudenten mit Ischgl-Bezug wird in der Presseaussendung des Land Tirols unterschlagen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Warum gab es im Gesundheitsministerium, im Staatliche Krisen- und Katastrophenmanagement (SKKM) im Innenministerium und im Bundeskanzleramt niemanden, der ins Tiroler Geschehen eingriff, das völlig aus dem Ruder gelaufen war?

10. März 2020

Seilbahner und LH Platter gegen Saison-„Aus“
Trotz 74 COVID-Kranker: „Aus“ für Après-Ski-Bars erst ab nächstem Abend

In der Vormittagssitzung der Landeseinsatzleitung (LEL) wird darüber diskutiert, die Passagieranzahl der Gondeln und Busse zu halbieren, schreckt aber vor Warteschlangen vor den Liften zurück.

Der Geschäftsführer der Silvretta-Seilbahn in Ischgl stellt sich um 12:45 Uhr im Chat der „Ischgl-Corona-Gruppe“ gegen die Schließung des Skigebietes, wie sie Platter vormittags intern zur Diskussion gestellt habe. „Ein proaktives Schließen des Schibetriebes und der Betriebe ist m.E noch verfrüht“ (Dokument 30).

In seiner Pressekonferenz um 17 Uhr schließt LH Platter eine Schließung des Skibetriebes ausdrücklich aus: „Wir sind nicht mit Südtirol vergleichbar.“

Spät, aber doch, meldet Österreich über das Frühwarnsystem EWRS das „Superspreaderevent in Ischgl mit Kitzloch“ und löst damit eine Welle von COVID-Meldungen aus dem Ausland aus. Es kommen dazu: 82 COVID-kranke Dänen, die zum Großteil auf Ischgl und zum kleineren Teil auf St. Anton zurückzuführen sind. 176 COVID-kranke Norweger mit Ischgl-Bezug. Großbritannien meldet nicht präzisierte COVID-Fälle mit Bezug zum Kitzloch.

Erst in der Nachmittagssitzung der Landeseinsatzleitung (LEL) denkt der Landesamtsdirektor „an“, alle anderen 13 Après-Ski-Lokale in Ischgl zu sperren. Die Personenzahl in Gondeln und Bussen soll halbiert werden. Die nötigen Verordnungen werden erst um 18:15 „erledigt“ (verschickt) und treten erst am nächsten Tag in Kraft.

Die Après-Ski Partys in Ischgl und die Verbreitung des Virus gehen weiter.

Der Obmann des Tourismusverbandes Ischgl freut sich in einem Chat-Beitrag, der in den Akten nicht lesbar ist, wie folgt: „und in Wahrheit habt ihr jetzt schon mehr als eine Woche der….“ (Dokument 31).

Am Abend erhöht sich in Tirol die Zahl der aktuell an COVID Erkrankten auf 74. Zusammen mit den 323 abgereisten Gästen sind es insgesamt 397 Covid-Kranke, die meisten in Zusammenhang mit Ischgl.



Wie kann es sein, dass trotz 397 COVID-Kranke, davon die meisten mit Ischgl-Bezug, in Ischgl ab dem nächsten Tag nur 13 Après-Ski-Lokale gesperrt und die erlaubte Personenzahl in Gondeln und Bussen auf die Hälfte reduziert wird, anstatt zu zusperren?

Warum konnte sich Platter gegen die Seilwirtschaft nicht durch-setzen, trotz rasanter Zunahme der COVID-Kranken und trotz des Beispiels Südtirol, das die Skisaison vorzeitig beendet hat und mit dem Tirol engste Kontakte unterhält?

Worauf genau bezieht sich die abgeschnittene Chat-Nachricht des TVB-Obmannes? Was genau ist „in Wahrheit… seit mehr als einer Woche gelungen“? Etwa die Vertuschung? Es gilt die Unschuldsvermutung.

11. März 2020

Verordnungen halbherzig eingehalten
Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion schlägt intern Alarm

Bei der Schließung der 13 Après-Ski-Lokale in Ischgl, stellt sich die „Ischgl-Corona-Runde“ dumm, als sie um 8 Uhr zusammentrifft: „Was ist eine Apres-Ski-Bar?“. Diese Fragen stammen ausgerechnet von den stolzen „Erfindern“ und weltweiten „Vermarktern“ dieser „Marke“. Doch die örtliche Gesundheitsbehörde bleibt hart und schickt eine genaue Liste.

Als die Polizei am Nachmittag kontrolliert, findet sie zwei der 13 Après-Ski-Bars in Ischgl geöffnet: die „S…-Bar“ und das „A………..n“. Die Polizei schreitet nicht ein, das Virus schon.

Auch das österreichweite Verbot, dass sich in der Öffentlichkeit nicht mehr als 500 Leute draußen (100 Leute drinnen) versammeln dürfen, wird im Bezirk Landeck nicht genau eingehalten. Die Polizei meldet und dokumentiert mindestens 9 Lokale, die gegen diese Verordnung verstoßen und… greift wieder nicht ein.

Am Nachmittag sitzt der Bezirkshauptmann von Landeck bei Landeshauptmann Platter in Innsbruck. Platter schlägt vor, Ischgl „bis“ Frei-tag leer zu fahren. Man lässt die Gäste ausreisen und keine neuen Gäste mehr einreisen. Der Bezirkshauptmann soll mit einer Verordnung die Schließung der Lifte vorbereiten.

Bis zu diesem Mittwoch rät man im Tourismusverband anfragenden Gästen noch immer nicht ab, nach Ischgl zu kommen. Das gibt der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Ischgl vor der „Rohrer-Kommission“ auch ganz offen zu (Dokument 32).

Allein aus den Niederlanden meldet das EWRS-System 43 COVID-Kranke mit Ischgl-Bezug. Gegen 17:00 Uhr wird erstmals eine be-sorgte Reaktion aus Wien sichtbar: Ein Beamter des Gesundheitsministeriums, der zusammen mit dem Abteilungsleiter der Ages die EWRS Meldekette angeworfen hatte, schreibt an eine Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion. Er ist alarmiert durch 150-200 COVID-Kranke, die in der letzten Woche allein für Ischgl/St.Anton gemeldet wurden: „Habt ihr St. Anton auf dem Schirm?“ „..ist das unter Kontrolle?“ (Dokument 33),

In seiner Pressekonferenz um 18 Uhr präsentiert Landeshauptmann Platter die vorläufige Schließung des Skibetriebs in Ischgl ab komm-enden Samstag als „einschneidende“ Maßnahme (Dokument 34).

Gegen Mitternacht schlägt eine Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion Alarm. In einem Mail an ihren Vorgesetzten (Sanitätsdirektor), an den Landesamtsdirektor und seine Stellvertreterin schreibt sie:
„Es muss einfach dort die Region niedergefahren werden..“ und
„das lässt sich nicht mehr verantworten“(Dokument 35).

89 offizielle COVID-Kranke gibt es nun schon in Tirol, wobei diese Zahl das wahre Ausmaß nicht widerspiegelt, weil man bei sehr vielen Verdachtsfällen mit dem Testen nicht mehr nachkommt. Zusammen mit den 344 abgereisten COVID-kranken Gästen sind es 433. Immer mehr COVID-Kranke werden aus St. Anton gemeldet.

Zum Vergleich: An diesem Tag schickt die Regierung Dänemarks mit 262 COVID-Fällen, davon 139 mit einer Reisegeschichte Ischgl, ganz Dänemark in den Lockdown.



Wieso ist die Polizei beim verordnungswidrigen Offenhalten einiger Après-Ski-Lokale und bei zu vielen Menschen in Freiluftbars nicht eingeschritten?

Treffen die Aussagen des Dorfarztes vor der „Rohrer-Kommission“ zu, dass die zwei Epidemie-Ärzte am Dienstag und Mittwoch mit dem Testen von Verdachtsfällen bei weitem nicht mehr nachkamen und das wahre Ausmaß der Katastrophe durch die offiziellen(!) Zahlen nicht sichtbar war? Für seine Aussagen spricht, dass man ab Donnerstag im Krankenhaus Zams eilig eine Drive-In-Teststation errichtete, um dem Andrang nachzukommen. Der Dorfarzt selbst hat seinen Aussagen nach „halb illegal“ ab Donnerstag wieder zu testen begonnen.

Warum wusste im Innenministerium (SKKM) niemand von den 82 COVID-kranken Dänen, die seit dem Vortag öffentlich bekannt sind?

Welche Rolle spielte dabei der Sanitätsdirektor, der an diesem Tag Tirol in dieser Krisensitzung vertrat? Wie reagierte dieser auf das alarmierende Mail seiner untergebenen Mitarbeiterin?

Warum gab es von Wien aus keine entschlosseneren Eingriffe als ein fragendes Mail eines Beamten im Gesundheitsministerium?

12. März 2020

Vorzeitige Saisonschluss in Ischgl verzögert

Kurz vor Mittag informiert der Tourismusverband Ischgl seine Touristikbetriebe („Vermieter“) über das vorzeitige Saisonende Ischgls. Rund um die Frage, ab wann genau die Lifte in Ischgl zum letzten Mal fahren dürfen, entsteht zwischen den Landecker Behörden und den Ischgler Touristikern (samt Bürgermeister) im Nachhinein ein seltsamer Streit.

In seiner Information an die Beherbergungsbetriebe legt der Tourismusverband den Freitag 13.3.2020 als letzten Skitag in Ischgl fest, obwohl die entsprechende Verordnung noch nicht vorliegt (Dokument 36). Als die Bezirkshauptmannschaft Landeck diese Verordnung Donnerstag nachmittags verschickt, hätte sie „kund-gemacht“ werden und in Kraft treten sollen. Das hätte ein Ende des Skibetriebs in Ischgl schon am Donnerstagabend bedeutet, einen Tag früher als tags zuvor von Platter angekündigt.

Tatsache ist, dass der Bürgermeister von Ischgl diese Verordnung erst zwei Tage später „kundgemacht“ hat, am Samstag den 14. März. Damit konnte der Skibetrieb Ischgls am Freitag noch ungestört laufen und Tausende Skifahrerinnen und Skifahrer befördern werden – ganz wie vom Tourismusverband von vornherein angekündigt.

Tatsache ist, dass der Bezirkshauptmann von Landeck – ebenso wie sein Stellvertreter und der Amtsarzt – vor der „Rohrer-Kommission“ übereinstimmend bekräftigten, dass Donnerstag der letzte Skitag in Ischgl gewesen sei (Dokument 37). Dass die Lifte in Ischgl einen Tag früher schließen, wäre wegen des extrem starken Anstiegs der COVID-Kranken in Ischgl und des gestrigen, spätabendlichen Alarmrufs der Mitarbeiterin der Sanitätsdirektion inhaltlich durchaus nach-vollziehbar gewesen.

Hingegen beharrten die Ischgler-Touristiker vor der „Rohrer-Kommission“ auf den Freitag als letzten Ski-Tag. Darunter auch der Bürgermeister von Ischgl, wobei die Gemeinde einen großen Anteil an der Silvretta Seilbahn hat und von deren Gewinnen profitiert.

Für die „Rohrer-Kommission“ waren dieser Widerspruch Grund genug, den Ischgler Bürgermeister anzuzeigen. Sie warf ihm vor, die Verordnung der Behörde vorschriftswidrig verschleppt zu haben. Doch später, als er von der Staatspolizei als Beschuldigter einvernommen wird, widerruft der Bezirkshauptmann von Landeck plötzlich seine früheren Aussagen vor der „Rohrer-Kommission“. Er habe vor der „Rohrer-Kommission“ „geglaubt“, dass der 13.3 der Samstag gewesen wäre (Dokument 38) und betont jetzt, dass es immer schon der „rote Faden“ gewesen wäre, dass die Lifte am Freitag noch fahren dürfen. Ganz so, wie von den Touristikern stets behauptet. Mit dieser Deckung des Bezirkshauptmannes ist der Bürgermeister aus dem Schneider und wird nicht mehr von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.

Am Nachmittag setzt Landeshauptmann Platter nach einem Treffen mit Tourismusvertretern das vorzeitiges Ende der Skisaison in ganz Tirol durch. In einer Pressekonferenz um 19:30 kündigt Platter an, dass tirolweit alle Lifte mit Ablauf von Sonntag 15.3 und alle Hotels mit Ablauf von Montag 16.3 geschlossen werden.

In Wien tagt ein Beraterstab bei Bundeskanzler Kurz (16 bis 17 Uhr) und anschließend ein Beraterstab bei Gesundheitsminister Anschober (17 bis 18:30), an dem auch Kanzler Kurz, Vizekanzler Kogler und Innenminister Nehammer teilnehmen. Dort wird von einem 30%igen Anstieg der COVID-Fälle in Tirol, von vielen unentdeckten Fällen und explodierenden Zahlen in Tirol berichtet.

Am Ende des Tages gibt es 110 aktuelle COVID-Kranke in Tirol (ohne Berücksichtigung der abgereisten Touristen). Im nahe gelegenen Südtirol sind es 103, davon zwei Tote. Dort ist die Wintersaison bereits beendet und alle Bars, Restaurants und Geschäfte (bis aufs Allernötigste) zugesperrt.



Die für Donnerstag angeordnete Schließung des Liftbetriebs in Ischgl hat definitiv nicht stattgefunden. Sie war von der Bezirkshauptmannschaft Landeck ursprünglich beabsichtigt und wurde von allen drei befragten Vertretern der Bezirkshauptmannschaft vor der „Roher-Kommission“ als Fakt dargestellt.

Tatsache ist, dass die Lifte und Gondeln am Freitag noch bis Nach-mittag fuhren. Laut Staatsanwaltschaft ist „gesichert davon auszugehen, dass Bürgermeister K….telefonisch mit einem nicht mehr feststellbaren Verantwortlichen der Bezirkshauptmannschaft entweder vereinbarte, oder diesem lediglich mitteilte, dass die Skigebietsschließungs-Verordnung erst am 14.3 kundgemacht würde.“

Die Staatsanwaltschaft hält zwar grundsätzlich beides für möglich, dass die Bezirkshauptmannschaft der späteren Liftsperre zustimmte (das wäre legitim) oder dass der Bürgermeister sich über den Willen der Behörde hinwegsetzte (stünde dem Bürgermeister nicht zu). Obwohl die Staatsanwaltschaft offenlässt, ob die Behörde der Verschiebung zustimmte, stoppt sie die Ermittlungen gegen den Bürger-meister.

Es bleibt noch die Frage, warum der Telefonpartner des Bürgermeisters „nicht mehr feststellbar“ gewesen sein soll. Merkwürdig ist auch, dass sich in der Landesregierung niemand mehr daran erinnern kann, dass die Ischgler Life wegen der alarmierenden Zunahme der COVID-Fälle bereits am Donnerstag hätten gesperrt werden sollen. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

Zu klären ist, ob in Tirol die Kundmachung von Verordnungen durch die Gemeinden, die von einer übergeordneten Behörde stammen, tatsächlich nicht genau geregelt ist.

Es ist die dritte Verordnung in Folge, die in Ischgl nicht ordnungsgemäß umgesetzt wird. Das verschafft dem tödlichen Virus zusätzlichen Raum zur Ausbreitung – zusammen mit den verspätet und halbherzig gesetzten Maßnahmen, die kaum kontrolliert wurden.

Ferner ist zu prüfen, warum in Tirol das vorzeitige Saisonende so lang hinausgezögert wurde. Warum beginnt sich die Regierungsspitze in Wien sich erst jetzt mit der dramatischen Entwicklung in Tirol auseinander zu setzten?

Wie konnte es geschehen, dass in den täglichen Sitzungen des SKKM (Staatliches Krisen- und Katastrophenschutzmanagement) der Ernst der Lage in Tirol nicht rechtzeitig erkannt und ihr entgegengesteuert wurde?

Hat Tirol unvollständig oder falsch berichtet? Wurde in Wien zu wenig nachgefragt? Oder ist es eine fatale Mischung aus beidem?

Licht ins Dunkel könnten die Protokolle der täglichen SKKM-Krisensitzungen bringen. Doch in dieser zentralen Krisen-Drehscheibe wurden keine Protokolle angefertigt – ein weiterer, schwerer Mangel.

Mehr denn je stellt sich die Frage, was das Gesundheitsministerium an diesem Tag unternahm, um die Ausbreitung des Virus in Tirol rasch und effizient zu bekämpfen. Immerhin ist das Gesundheitsministerium oberste zuständige Instanz für das Epidemie-Gesetz.

13. März 2020

Kanzler Kurz löst Abreise-Chaos aus
Machtlose Polizei
Verschobene Quarantäne-Verordnung
Schlupfloch St. Christoph

Beim morgendlichen Meeting des SKKMs (Staatliches Krisen- und Katastrophenschutzmanagement) im Innenministerium ist noch weit und breit keine Rede von einer Quarantäne in Paznaun und St. Anton.

Auch in der anschließenden Videokonferenz, bei der Vertreter alle Bundesländer zugeschaltet sind, spricht niemand von Quarantäne.

Knapp vor 10 Uhr kündigt die APA (Austria Presse Agentur) mit einer „Eilt“ Meldung eine für 14 Uhr anberaumte Pressekonferenz von Bundeskanzler Kurz an. „Eilt“- Meldungen sind ungewöhnlich und werden von Medien und Pressestellen stark beachtet.

Kurz vor seiner eigenen Pressekonferenz um 10:30 erfährt Landeshauptmann Platter per Telefon von Kanzler Kurz, dass über das Paznauntal und St. Anton (im Einvernehmen mit dem Gesundheits- und Innenminister) eine Quarantäne verhängt werden soll. Platter stimmt zu, erinnert Kurz aber daran, dass er rasch die „Stäbe“ ein-schalten müsse. Der Landeshauptmann informiert seinen Landesamtsdirektor, der die Landeseinsatzleitung (LEL) leitet, und fühlt sich ansonsten nicht mehr eingebunden (Dokument 39).

In seiner eigenen Pressekonferenz verliert Platter kein Wort über die Quarantäne. Deren Ankündigung hat man ja dem Bundeskanzler überlassen. Das hätten „alle für sinnvoll erachtet“, man wollte damit „Verwirrung vermeiden“, meinte der Kanzler später vor der „Rohrer-Kommission“ (Dokument 40), der er 20 Minuten seiner Kanzlerzeit widmete.

Ab 11 Uhr weiß man in Innsbruck (Landeseinsatzleitung) und ab 11:30 im Innenministerium bei der Videoschaltung mit dem Bezirkspolizeikommando Landeck, dass man eine gesicherte Ausreise sicherstellen muss und Checkpoints bis 14 Uhr errichtet werden sollen.

Mit dabei bei der Videoschaltung ist auch der stellvertretende Bezirkshauptmann von Landeck. Das Bezirkspolizeikommando in Landeck geht nach dieser Videoschaltung davon aus, dass lediglich die zwei Orte St. Anton und Ischgl unter Quarantäne gestellt werden, nicht das ganze Paznauntal.

Es gilt also, nur diese zwei Orte zu isolieren, so dass niemand hinaus und herein fahren kann. In der Folge wird vom Bezirkspolizeikommando eine Sonderbehandlung für abreisende Gäste aus den anderen Orten wie Galtür, See und Kappl ausgearbeitet. Sie sollen mit Hilfe einer „Greencard“ ungehindert das Tal verlassen können (Skizze).

Zur selben Zeit, um 11:30 wird der Bezirkshauptmann von Landeck „direkt aus dem Stab“ informiert, dass einheimisches Personal in Heimquarantäne und alle anderen Saisonkräfte in Personalunterkünften „quarantiert“ werden müssen. Dabei ist nicht nur von St. Anton und Ischgl die Rede, sondern vom Paznaun. Von der Bundespolizeidirektion erfährt der Bezirkshauptmann auch noch, dass der Bundeskanzler plane, über das Paznaun und St. Anton eine Quarantäne um 14 Uhr zu verhängen.

Weder der Bezirkshauptmann von Landeck noch sein Vize sehen zu diesem Zeitpunkt einen Grund zu handeln, obwohl sie für Quarantäne-Verordnungen rechtlich zuständig sind.

Gegen 11:45 informiert der Leiter der Tourismusabteilung des Landes Tirol die Tourismusverbände von Ischgl und St. Anton, dass sie bei der Registrierung der ausreisenden Gäste mithelfen müssen und genug Mitarbeiter für diese „administrative Gewalttat“ organisier-en sollen, die auf sie zukommt. Der genaue Wortlaut dieser Telefonate ist nicht überliefert. Beiden Tourismusverbänden wird mit-geteilt, dass Checkpoints errichtet werden sollen und, dass das Personal bleiben muss, außer es sind Einheimische mit Wohnsitz in einen der 30 Gemeinden des Bezirks Landeck.

Der Geschäftsführer des Tourismusverbandes St. Anton gibt diese heiklen Infos nicht weiter. Völlig konträr reagiert der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Ischgl. Er hat nichts Eiligeres zu tun, als „seine“ Touristikbetriebe vor den bevorstehenden Sperren zu informieren.

Der Inhalt des Mails, das der Tourismusverband um 13 Uhr versendet:“ In Ulmich wird ein Checkpoint errichtet, Gäste dürfen nur mit einem Formular abreisen, das es noch nicht gibt ….Personal darf nur ausreisen, wenn es den Hauptwohnsitz in Landeck hat, alle anderen Mitarbeiter müssen 14 Tage in Ischgl bleiben“ (Dokument 41).

Mit diesem „Leak“ befeuert der Tourismusverband die Flucht aus dem Tal, speziell bei den Saisonkräften. Der Vorstand der Silvretta-Seilbahn lässt kurz vor Start der Pressekonferenz von Bundeskanzler Kurz via Chat zur sofortigen Ausreise auffordern. „Sofortige Abreise des Saisonpersonals durch den Vorstand angeordnet. Schlüssel und Bekleidung bei der Anlieferung abgeben. Nehmt dies ernst, solange ihr noch weckkommt.“ Sogar der Dorfarzt fordert seine Bügelfrau „vom Essen weg“ und zwei ältere Ärzte zur sofortigen Abreise auf. Der Obmann des Tourismusverbandes und Hotelbesitzer schickt Mitarbeiter weg. Eine Mitarbeiter schildert den dramatischen Exodus des Personals mit einem brennenden Bus, während die meisten Gäste noch nichtsahnend auf den Pisten wedeln. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.

Bis 13:50 glaubt die Polizei in Ischgl noch immer, dass nur St. Anton und Ischgl gesperrt werden. Erst nach einer neuerlichen Videokonferenz mit dem Innenministerium wird klar, dass das ganze Tal zu isolieren ist. Die Polizei kann ihre eilig aus dem Boden gestampften Konzepte („Greencard“) gleich wieder verwerfen.

Knapp nach 14 Uhr verkündet Bundeskanzler Kurz in einer live vom ORF übertragenen Pressekonferenz, dass das Patznauntal und St. Anton „ab sofort“ unter Quarantäne gestellt werden. Kurz sagt, dass inländische Gäste und das Personal in Quarantäne bleiben müssen.

Er sagt aber nichts über die Sonderregel für ausländische Gäste, die die Mehrheit stellen. Nur Innenminister Nehammer weist im Laufe der Pressekonferenz ein einziges Mal darauf hin, dass die ausländischen Gäste auch noch am Samstag und Sonntag ausreisen können.

Mit seiner Ankündigung hat der Bundeskanzler eine unkontrollierte Ausreise und Panikreaktionen ausgelöst, stellt die „Rohrer-Kommission“ mehrfach fest: „Die Ankündigung der Quarantäne […] durch den österreichischen Bundeskanzler erfolgte ohne dessen unmittelbare Zuständigkeit, überraschend und ohne Bedachtnahme auf die notwendige substantielle Vorbereitung. Die dadurch bewirkte unkontrollierte Abreise hat eine sinnvolle epidemiologische Kontrolle behindert“ (Dokument 42). „Durch die mediale Verbreitung der Ankündigung der Quarantäneverhängung kam es in den betroffenen Gebieten bei Gästen und Mitarbeitern der Tourismusbetriebe zu Panikreaktionen, weil allgemein befürchtet wurde, in kürzester Zeit nicht mehr das Tal verlassen zu können“ (Dokument 43).

Als der Bundeskanzler die Quarantäne verkündet, steht er – rechtlich gesehen – völlig nackt da, sprich ohne Verordnung. Zu diesem Zeitpunkt hat die rechtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft Landeck nicht einmal damit begonnen, die nötige Verordnung zu schreiben. Sie ist damit beschäftigt, den vorzeitigen Saisonschluss für ganz Tirol mit einer Musterverordnung zu regeln und liefert dafür vier verschiedene Entwürfe bis 15:41 Uhr.

Auch nach dem dramatischen TV-Auftritt des Kanzlers bleibt der zuständige Bezirkshauptmann von Landeck untätig, fragt nicht aktiv nach, sondern wartet „wie üblich“ „auf die Vorgaben des Landes“. Bei seiner Vernehmung als Beschuldigter sagt er: „ außerdem hatten wir von der Landeseinsatzleitung keinerlei Auftrag, etwas in Richtung einer Quarantäne zu erarbeiten, wie sie dann gekommen ist“ (Dokument 44).

Erst als ihm knapp vor 15 Uhr der Landessamtsdirektor das „Ausreisekonzept“ schickt, bekommt der Bezirkshauptmann von Landeck eine „ungefähre“ Vorstellung, „an welche Verordnung der Bundeskanzler gedacht habe.“ Das gibt er später vor der Staatsanwaltschaft als Beschuldigter zu (Dokument 45). Erst als er knapp nach 15 Uhr vom Land Tirol die „Gästeausreiseblätter“ bekommt, fängt er als zu-ständige Behörde an, die Quarantäne-Verordnung auszuarbeiten.

Es vergehen drei Stunden, bis um 18:07 Uhr ein erster Entwurf zur Abstimmung verschickt wird.

Um 19:19 ist die Quarantäne-Verordnung fertig und wird verschickt: Fünf Stunden, nachdem der Kanzler die Quarantäne ausgerufen hatte.

Während die zuständige Behörde nach dem Kanzler TV-Auftritt abwartet, sind Hotels und Gastwirte höchst aktiv und drängen ihre Gäste zur Ausreise. Einige Wirte helfen den Touristen sogar beim Kofferpacken. Treibende Kraft dahinter ist wieder der Tourismusverband Ischgl. Dieser meldet sich gegen 15 Uhr neuerlich zu Wort gemeldet und teilt seinen Beherbergungsbetrieben mit: „dass in Ulmich bis auf Weiteres nur Verkehrskontrollen stattfinden. Dies gelte für alle Gäste, Mitarbeiter und Einheimische. Eine Abreise ist aktuell „ungehindert“ möglich“ (Dokument 46). Der gut vernetzte Tourismusverband weiß ganz genau, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine Verordnung gibt.

Weil ihr die rechtliche Basis fehlt, kann die Polizei in der Tat zwischen 14 bis 16:20 an allen drei errichteten Checkpoints niemanden aufhalten oder gar zurückschicken, sondern lediglich Verkehrskontrollen durchführen. Was für die Einhaltung einer Quarantäne nötig ist, darf sie nicht machen: die Ausreise von Menschen zu verhindern, die in Quarantäne bleiben müssen und die Abreise von Menschen zu kontrollieren, die ausreisen dürfen.

Erst ab 16:20 teilte der stellvertretende Bezirkshauptmann von Landeck der Polizei mündlich mit, dass sie keine Österreicher und kein Personal ausreisen lassen darf, auch kein einheimisches Personal. Aber um diese Zeit sind Tausende schon aus dem Tal, Gäste wie Personal.

Erst um 17:15 bekommt die Polizei an den Checkpoints vom Polizeikommandanten die nächste mündliche Anweisung, dass alle ausländischen Gäste nur dann ausreisen dürfen, wenn sie die Gästeblätter ausgefüllt haben und registriert sind. Zu diesem Zeitpunkt sind noch mehr Menschen längst weg. Erst jetzt wird der Polizei der Sinn der Gästeblätter erklärt, die sie kurz nach 16 Uhr geliefert bekommen hatten. Die Staus werden durch das nötige Ausfüllen der Gästeblätter immer länger und länger.

Ganz anders handeln die nicht informierten Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Sie nehmen (fälschlicherweise) an, dass die vom Kanzler ausgerufene Quarantäne auf einer Verordnung beruht und ordnen an, dass kein Zug mehr in St. Anton anhalten darf. Im Bahnhof und davor drängen sich die flüchtenden Gäste zusammen, bis ihnen klar wird, dass die Züge nur durchfahren. Für das Aus-breiten des Virus bietet diese Ballung von Menschen ein ideales Umfeld, ebenso wie die überfüllten Busse und eilig entstandenen Fahrgemeinschaften.

Zum ganzen Chaos passt, dass St. Christoph am Arlberg nicht unter Quarantäne gestellt wird, obwohl dieser Ort zur Gemeinde St. Anton gehört. Diese Ausnahme erfolgte mit Zustimmung der Bezirkshauptmannschaft Landeck. Damit tut sich ein Schlupfloch auf, nicht nur für die dortigen Gäste (darunter viele Ärzte, die nach vorzeitigem Ende des Ärztekongresses zum Skifahren geblieben sind), sondern auch für Gäste in St Anton. Manche flüchten zu Fuß. Eine Erklärung für diese verordnungswidrige Vorgangsweise konnte die „Rohrer-Kommission“ nicht finden (Dokument 47).

Ein weiteres Problem sind jene Gäste, die mit dem Flugzeug an-gereist sind und ihre Rückflüge erst am Wochenende gebucht haben. Auch sie flüchten sofort aus dem Tal. Am Samstag sind es 6.000 Fluggäste, die über den Flughafen Innsbruck heimfliegen, am Sonntag weitere 3.000. Ein kleiner Teil dieser Gäste aus Großbritannien wird kurzfristig in einem Hotel in Imst untergebracht, mit Zustimmung des Bezirkshauptmanns von Innsbruck-Stadt.

Wo der große Rest übernachtet und wieviel Menschen dadurch möglicherweise mit dem Virus infiziert wurden, ist nicht bekannt.

Um 17:35 Uhr mischt sich in Ischgl wieder einmal der Ex-TVB-Obmann und Hotelbesitzer ins Geschehen. Er verspricht, ein Problem zunächst mit Hilfe der Bezirkshauptmannschaft bzw. mit Hilfe von Bundeskanzler Kurz zu lösen: „Pressesprecher von Kurz hat mir geschrieben sie regln das“ (Dokument 48).

Das Problem wird zwar nicht genannt, ist aber ziemlich naheliegend: In der endgültigen Fassung der Quarantäne-Verordnung gibt es – entgegen der Ankündigung durch den Tourismusverband – keine Ausnahme mehr für Einheimische, die ihren Hauptwohnsitz im Bezirk Landeck haben. Auch sie dürfen nicht mehr nach Hause. Zudem sind von der Verordnung jetzt alle Touristikbetriebe (also auch Seil-bahnen, Geschäfte) erfasst, nicht bloß die Beherbergungsbetriebe. Die Folge: Mitarbeiter von Seilbahnen, Geschäften, Betrieben und Putzfrauen, die täglich pendeln, müssten in St. Anton und im Paznauntal vierzehn Tage untergebracht und verköstigt werden. Aber auch alle Skifahrer, die für einen Tag angereist sind („Tagesgäste“) bräuchten zwei Wochen lang fixe Versorgung und Unterkunft. Eine Horror-Vorstellung für die Touristiker in Ischgl. Sie lösen das Problem durch Interventionen, um Ausnahmen zu statuieren. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Als die Quarantäne-Verordnung um 19:19 endlich verschickt wird, sollte sie an den Amtstafeln der Gemeinden und der Bezirksverwaltungsbehörden kundgemacht werden und damit in Kraft treten.

Doch ein Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft Landeck (der Verkehrsreferent) gibt dem Bezirkspolizeikommandanten in Landeck um 19:15 die Anweisung, die Quarantäne-Verordnung erst am nächsten Tag, am Samstag den 14.3 um 7 Uhr in der Früh kund zu machen (Dokument 49). Gleichzeitig ordnet er an, dass die Tagesgäste, die Seilbahn- und Supermarktangestellten bis dahin hinauszulassen sind.

Dieselbe Anweisung schreibt Ischgls Bürgermeister um 19:49 an seinen Amtsleiter mit der Bitte, diese Info weiterzuleiten (Dokument 50).

Die kurzfristige Verschiebung der Verordnung sei für die Polizei kein Problem gewesen, sie habe ja die ganze Nacht genauso gehandelt wie um 16:20 und um 17:15 telefonisch angeordnet, sagten die Polizisten vor der Staatsanwaltschaft. Unter den Tisch fallen ließen sie den feinen Unterschied, dass noch alle einheimischen Mitarbeiter, Tagespendler und Tagesgäste unkontrolliert ausreisen durften und möglicherweise das Virus verbreiteten.



Wer wusste ab wann, dass BK Kurz um 14 Uhr die“ sofortige“ Quarantäne verkünden wird? War man in Tirol tatsächlich so überrascht, wie man im Nachhinein tat, zumal eine Pressekonferenz des Bundeskanzlers in Form einer „Eilt“-Meldung für 14 Uhr angekündigt worden war? Wie konnte es sein, dass weder Platter, noch sein Landesamtsdirektor, noch das Innenministerium auf Beamtenebene wussten, dass der Bundeskanzler um 14 Uhr die Quarantäne ankündigen würde. Wer hat diese eklatante Nicht-Koordination zu verantworten?

Kann Landeshauptmann Platter jede Verantwortung für die Umsetzung der Verordnung von sich weisen, in dem er vor der „Rohrer-Kommission“ sagt: „Ich bin auch nicht befugt, da irgendwelches zu tun, ….das haben die Stäbe vorzubereiten und die Kommunikation ist Angelegenheit des Bundes gewesen“. Schließlich ist der Landeshauptmann laut Epidemie-Gesetz für die Koordinierung und Kontrolle der Maßnahmen zuständig.

Kann sich der Bundeskanzler tatsächlich am Gesundheitsministerium und Land Tirol so abputzen, wie im „Rohrer-Bericht“ zu lesen ist? Dort antwortet Bundeskanzler Kurz auf die Frage, ob damals eine Verordnung vorgelegen sei: „das wisse er nicht“ und fügt hinzu “Wenn ein Stab Quarantäne vorschlage, sei naheliegend, dass das mit einer Verordnung geregelt werde (Dokument 51).

Auf die Nachfrage, wer Stab bzw. die zuständige Stelle sei, antwortete Bundeskanzler Kurz: „Gesundheitsministerium und das Land Tirol in diesem Fall“ (Dokumente 51).

Seine Aussagen vor der „Rohrer-Kommission“ lassen tief in das Amtsverständnis nunmehrigen Ex-Kanzlers Kurz blicken: er kümmert sich ausschließlich um eine breitwirksame Kommunikation und keinen Deut um die Umsetzung. Niemand traut sich offenbar, den utopischen Vorstellungen des Kanzlers zu widersprechen, binnen dreieinhalb Stunden eine ordnungsgemäße Quarantäne und Abreise für Zehntausende zu bewerkstelligen, wie sie in dieser Form noch nie dagewesen ist.

Warum hat sich der Innenminister nicht rechtzeitig um eine rechtliche Grundlage für die notwendigen Polizei-Sperren gekümmert? Wieso war die geplante Quarantäne in der morgendlichen SKKM-Sitzung kein Thema? Wieso gibt es dazu keine SKKM-Protokolle, anhand derer man diese Frage nachprüfen kann?

Was hat das Gesundheitsministerium als oberste Instanz in Gesundheitsfragen unternommen, um die Quarantäne ordnungsgemäß um-zusetzen bzw. ihre Umsetzung zu gewährleisten?

Wieder ist der Einfluss der Touristiker Ischgls sichtbar. Mit dem „Leak“ ermöglichte der TVB den Beherbergungsbetrieben, Gäste und Mitarbeiter vorzeitig und unkontrolliert los zu werden und sich das Durchfüttern vieler Menschen zu ersparen.

Es erhebt sich die Frage, ob während der panischen Abreisen die halbe/halbe Regel in Bussen und Gondeln eingehalten bzw. kontrolliert wurde.

Warum hat die Bezirkshauptmannschaft Landeck nach der Pressekonferenz des Bundeskanzlers keine weiteren Erklärungen ab-gegeben, um die Situation zu beruhigen? Warum hat man nicht auf die beschlossene Möglichkeit für ausländische Gäste hingewiesen, bis Samstag und Sonntag in Ruhe abreisen zu können ohne in Quarantäne gehen zu müssen? Warum hat die Bezirkshauptmannschaft Landeck nicht bereits zu Mittag, als sie von den Sperren erfuhr, auf die zu allzu kurze Vorbereitungszeit hingewiesen? Schließlich ist sie laut Epidemie-Gesetz zuständig für die Einleitung, Durchführung und Sicherstellung aller Vorkehrungen.

Durch die weder rechtlich noch organisatorisch vorbereitete Quarantäne, war eine geordnete Kontakterhebung und Gesundheitskontrolle unmöglich.

Die Gästeausreiseblätter wurden zu spät verteilt. Der Polizei wurde der Sinn dieser Gästeausreiseblätter (ausländische Gäste zu registrieren) zu spät kommuniziert. Eine Kontaktverfolgung war dadurch völlig unmöglich!

Einige Tausend Gästeausreiseblätter wurden zwar Tage später in die Herkunftsländer geschickt, weil sie aber an zentrale Stellen der Länder gingen anstatt an die einzelnen Gemeinden, verfehlten auch sie ihren wichtigsten Zweck.

Dieser besteht darin, die lokale Gesundheitsbehörde der Heimkehrer so rasch wie möglich zu informieren, damit die Heimkehrer zu Hause gesundheitlich betreut werden können, um so die Ausbreitung des Virus zu reduzieren.

Es stellt sich auch die Frage, wieso in St. Christoph am Arlberg kein Checkpoint aufgestellt und damit ein Schlupfloch für viele geöffnet wurde. Wieso konnte die Bezirkshauptmannschaft von Landeck dieser widerrechtlichen Ausnahme zustimmen?

Wie konnte es zur Ausnahme für die britischen Gäste kommen, die dann in Imst nächtigten, damit sie am nächsten Tag abfliegen konnten? Durfte der Bezirkshauptmann von Innsbruck-Stadt das genehmigen? Konnte er all die angekündigten Schutzmaßnahmen am Flughafen dann tatsächlich so umsetzten? Was ist mit den vielen anderen Flugpassagieren passiert, die erst am nächsten bzw. über-nächsten Tag abfliegen konnten? Wo übernachteten sie und unter welchen Schutzvorkehrungen?

Bei all dem ist evident, dass die Behördenvertreter nicht alle erforderlichen und ihrem Kenntnisstand entsprechende Maßnahmen gesetzt haben, sondern in haftungsbegründender Weise rechtswidrig und schuldhaft die massive Verbreitung des COVID-Virus zu verantworten haben. Es gilt für alle die Unschuldsvermutung.

Es erhebt sich auch die Frage, wie hoch die Kompensation für die Tourismusbetriebe in St. Anton und im Ischgl/Paznauntal letztlich ausgefallen ist, die auf dem Epidemie-Gesetz basieren und damit höher ausfallen als mit dem neuen, ab 16. März geltenden Gesetz.

Glossar

Ages
Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, abgekürzt Ages. Unter anderem zuständig für die epidemiologische Überwachung und Abklärung übertragbarer und nicht übertragbarer Infektionskrankheiten beim Menschen. Der zuständige Abteilungsleiter betreut an gewissen Tagen (meist Wochenenden) das Frühwarnsystem EWRS.

Alles richtig gemacht? Ischgl und seine Folgen
Buch von Sebastian Reinfeldt, erschienen 2020 in Books on De-mand, Norderstedt (BoD) ISBN: 978-3-7519-9336-4

Amtsarzt
Amtsärzte sind zur Überwachung der Gesundheit der Bevölkerung innerhalb einer Behörde amtlich tätig, hier für die Bezirkshauptmannschaft Landeck.

APA
Die Austria Presse Agentur (APA), verbreitet Nachrichten laufend an Medien in Österreich und im Ausland, an zahlende private Kunden, wie Pressestellen, PR-Agenturen und andere Unternehmen.

Après-Ski-Bar
Wird meist ab 15 oder 16 Uhr geöffnet Bis zum Abendessen (und danach) wird Party gemacht, mit viel Alkohol (Schnaps, Wodka, Jagatee) und Musik zum Mitsingen, Tanzen, Schunkeln.

Bezirkshauptmannschaft Landeck (BH Landeck)
Auch als „lokale“ oder „örtliche“ Gesundheitsbehörde bezeichnet. Ist die zuständige Gesundheitsbehörde für 30 Gemeinden, darunter Ischgl und St. Anton. Geleitet wird sie vom Bezirkshauptmann und seinen Stellvertreter. Amtsarzt und Verkehrsreferent gehören ebenso zu ihr. BH Landeck ist laut Epidemie-Gesetz zuständig für Einleitung, Durchführung und Sicherstellung von Quarantänen in ihrem Gebiet.

COBRA
Sondereinheit der österreichischen Polizei für Einsätze mit erhöhtem bis sehr hohem Gefährdungsgrad.

Contact-Tracing
Kontakterhebungen bei Personen, die COVID haben bzw. bei Personen, die ihnen nahestehen und als Kontaktpersonen (K1) eingestuft wurden. Die Regeln dafür änderten sich laufend.

Dorfarzt
Praktischer Arzt mit Praxis im Ort, nicht zu verwechseln mit dem Amtsarzt. Der Dorfarzt von Ischgl ist gleichzeitig bei der Silvretta-Seibahn AG als Arbeitsmediziner tätig.

Epidemie-Ärzte
Auf Epidemie spezialisierte Ärzte, die seit 28 Februar 2020 eigens ernannt wurden und mobil zum Einsatz kommen. Nur Epidemie-Ärzte dürfen Abstriche bei COVID-verdächtigen Fällen machen und nicht etwa die praktischen Ärzte vor Ort. Abstriche machen dürfen auch Amtsärzte und Ärzte in Spitälern.

Frühwarnsystem EWRS
Eigentlich: Frühwarn- und Reaktionssystem„Early Warning Response System“(EWRS). Ist ein Kommunikationssystem zur Kontrolle und Vorbeugung von übertragbaren Krankheiten. Dazu gehören z. B. Tuberkulose, Masern, Gelbfieber, SARS, H1N1 und eine Reihe weiterer übertragbarer Krankheiten. Betrieben wird EWRS vom „Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten“ (ECDC), einer unabhängigen Agentur der Europäischen Union. Genutzt wird sie von den EU-Mitgliedstaaten sowie von Norwegen, Island und Liechtenstein, die sich gegenseitig über das Auftauchen ansteckender Krankheiten informieren und warnen. In Österreich landen die EWRS-Mails im Gesundheitsministerium.

Gästeausreiseblatt
Ausreisende Touristen dürfen das Quarantänegebiet nur nach Ausfüllen des Gästeausreiseblattes verlassen, in dem sie Ihre aktuellen Kontaktdaten und ihren Zielort angeben.

Gesundheitsbehörde
siehe Bezirkshauptmannschaft von Landeck, auch „örtliche“ oder „lokale“ Gesundheitsbehörde.

Gesundheitsministerium
Vereinfachte Bezeichnung für „Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK). Zur Zeit des Tagebuchs war Rudolf Anschober Gesundheitsminister.

HLH
steht für „Herr Landeshauptmann“ und ist eine intern gebräuchliche Abkürzung für den Tiroler Landeshauptmann Günther Platter

Ischgl-Corona-Gruppe
Eine informellen Gruppe in Ischgl, die sich seit 26. Februar 2020 gegründet hat und auch via Whatsapp miteinander kommuniziert. In ihr vertreten: Vorstände der Silvretta-Seilbahnen, Geschäftsführer des Tourismusverbands Ischgl, die Polizei, der Bürgermeister und der Dorfarzt. Auch andere Personen kommen fallweise hinzu, u.a. der frühere Obmann des Tourismusverbands und jetziger Hotelbesitzer.

Kitzloch
Eine von insgesamt 14 Après-Ski-Bars in Ischgl, die nach COVID-Fällen als erste zugesperrt wurde. Von der isländischen Reiseleiterin auch „Ketzlock“ genannt.

Landesamtsdirektor
Leitet als Beamter den Tiroler Krisenstab (Landeseinsatzleitung).

Landeseinsatzleitung (LEL)
Seit 25. Februar 2020 Krisenstab der Tiroler Landesregierung. In Innsbruck tagen Vertreter aller wichtigen Abteilungen wie Landesamtsdirektion, Sanitätsdirektion, Öffentlichkeitsabteilung und das Büro von Landeshauptmann Platter. Vertreten sind auch die Polizei, Bundesheer, Blaulichtorganisationen und die Landeswarnzentrale der Landesregierung. Geleitet wird die LEL vom Landesamtsdirektor.

Landeshauptmann
Abkürzung für Tirols Landeshauptmann Günther Platter. Siehe auch „HLH“.

Rohrer-Kommission
Abkürzung für „Die Unabhängige Expertenkommission“ unter dem Vorsitz von Dr. Ronald Rohrer. Das Land Tirol beauftragte diese Kommission Mitte April 2020 „Zur umfassenden, transparenten und unabhängigen Evaluierung des Managements der COVID19-Pandemie in Tirol“. Die zuvor geplante Kommission wurde abgelehnt, da ihrem Vorsitzenden ein Naheverhältnis zu Landeshauptmann Platter unterstellt wurde.

Rohrer-Bericht
Bericht der „Rohrer-Kommission“ der Mitte Oktober 2020 veröffentlicht wurde. Link: https://www.tirol.gv.at/fileadmin/presse/downloads/Presse/
Bericht_der_Unabhaengigen_Expertenkommission.pdf
(Stand Dezember 2021)

Sanitätsdirektor
eigentlich Landessanitätsdirektor, steht an der Spitze der Landes-sanitätsdirektion und ist Teil der Landeseinsatzleitung (LEL).

Silvretta-Seilbahn
Gemeinde Ischgl hält einen großen Anteil an diesem profitablen Seilbahn-Unternehmen, ebenso einige Familien und die Talgemeinschaft. Viele Arbeitsplätze (auch einheimische) hängen dran.

SKKM
Staatliches Krisen- und Katastrophenschutzmanagement. Ist ein Einsatzstab im Innenministerium in Wien, das eine funktionierende Koordination in Krisen und Katastrophen gewährleisten soll. Be-treffend der Pandemie gab es tägliche „Lage“ Besprechungen um 9 Uhr Früh, in der Ländervertreter und Vertreter des Gesundheitsministeriums zugeschaltet waren. Über diese Sitzungen wurden keine Protokolle angefertigt.

Tourismusverband (TVB)
Tourismusverbände sind in Tirol Körperschaften öffentlichen Rechts. Sie vertreten die Tourismuswirtschaft: Hotels, Gasthäuser, Ferienwohnungen, Seilbahnen, Campingplätze. Diese Betriebe zahlen ebenso für die Tourismusverbände wie das Land Tirol.

Tourismusverband Ischgl
Eigentlich: Tourismusverband Paznaun – Ischgl; mit einem Obmann und zwei Geschäftsführern.

Verbraucherschutzverein (VSV)
Vom renommierten Verbraucherschützer Dr. Peter Kolba 2018 gegründete Verbraucherschutzorganisation neueren Zuschnitts mit Sitz in Wien, Österreich. VSV ist eine völlig unabhängige, inter-national agierende Verbraucherschutzorganisation mit Tausenden Mitgliedern. Mit Klagen in Zusammenhang mit dem VW Diesel-skandal, dem Fall Ischgl und der mangelhaften Spirale zur Empfängnisverhütung Eurogine machte der VSV international auf sich aufmerksam.

Vermieter
Als „Vermieter“ werden alle Beherbergungs- und Touristikbetriebe bezeichnet, die von den Tourismusverbänden regelmäßig informiert werden.